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Mit der Reife wird man immer juenger

Mit der Reife wird man immer juenger

Titel: Mit der Reife wird man immer juenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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an Fanny Schiler)

    A lterund Verkalkung machen Fortschritte, manchmal will das Blut nicht mehr so richtig durchs Gehirn laufen. Aber diese Übel haben schließlich auch ihre gute Seite: man nimmt nicht alles mehr so deutlich und heftig auf, man hört an vielem vorbei, man spürt manchen Hieb oder Nadelstich überhaupt nicht mehr, und ein Teil des Wesens, das einst Ich hieß, ist schon dort, wo bald das Ganze sein wird.
    (Aus »Ein Brief nach Deutschland«, 1946)

    D as ist eine der paar guten Gaben des Greisentums, daß man von der Gegenwart und Wirklichkeit nicht mehr so ganz erreicht werden kann, es legt sich ein langsam dichter werdender Schleier dazwischen.
    (Aus einem Brief vom 7. 9. 1951 an Ludwig Tügel)

    M an lebt, wenn man heute alt ist, in einer anderen geologischen Schicht mit anderem Klima und völlig anderer Umwelt als der, in der man aufgewachsen und einst Norm und Selbstverständlichkeit war. Zuweilen wundert man sich, daß man überhaupt noch da ist.
    (Aus einem Brief vom Februar 1950 an Jeanne Berta Semmig)
Weg in die Einsamkeit
    D ie Welt fällt von dir ab,
Alle Freuden verglühen,
Die du einst liebtest;
Aus ihrer Asche droht Finsternis.

    In dich hinein
Sinkst du, unwillig,
Von stärkerer Hand gestoßen,
Frierend stehst du in einer gestorbenen Welt.
Hier dir weht weinend
Nachklang verlorener Heimat her,
Kinderstimmen und zärtlicher Liebeston.

    Schwer ist der Weg in die Einsamkeit,
Schwerer als du gewußt,
Auch der Träume Quell ist versiegt.
Doch vertraue! Am Ende
Deines Weges wird Heimat sein,
Tod und Wiedergeburt,
Grab und ewige Mutter.
[Arriviert zum Greisenalter]
    Z wischen den alten und den ganz alten Leuten besteht ein eigentümliches Verhältnis. Mir wenigstens geht es so: wenn ein jüngerer Freund oder Kollege mich dadurch überrascht, daß er plötzlich sechzig oder siebzig wird, oder Herzbeschwerden hat und das Rauchen aufgeben muß, oder Ehrendoktor, Ehrenpräsident und Ehrenbürger oder von irgendwelchen anderen Alterserscheinungen überfallen wird, dann schockiert mich die Wahrnehmung ein wenig, daß da einer, dessen Jugendtorheiten wir eben noch mit freundlicher Milde mitangesehen haben, plötzlich seinen Platz unter den Erwachsenen und Würdigen beansprucht und mit grauem oder weißem Haar, mit Ehrentiteln und Orden geschmückt in den Greisenstand tritt. Mit dem Eigensinn desAlters hatte ich im Unterbewußtsein erwartet, ja mich darauf verlassen, daß der Jüngere jung bleiben und mich für immer in Kontakte mit den Jungen halten werde.
    Ist dieser erste kleine Schock überstanden, dann freilich empfinde ich das Aufrücken des Jüngern nicht mehr als eine Art von Dreistigkeit oder Anmaßung, sondern beginne mit dem Altgewordenen etwas wie Mitleid zu fühlen, das heißt: mein Alterseigensinn stellt, da die Tatsachen sich als unabänderlich erweisen, sofort wieder eine Distanz zwischen mir und dem jüngeren Freunde her. Denn, so nehme ich in senilem Dünkel an, für ihn haben ja diese Begleiterscheinungen des höhern Alters, die Jubiläen und Ehrungen wie die Beschwerden, noch den Schimmer des Neuen, die Wichtigkeit ersten Erlebens, der siebzigjährige Jubilar spürt ja doch wieder etwas einigermaßen Ähnliches wie einst der Neukonfirmierte oder Abiturient; es ist eine Stufe erreicht, es wird ein neuer Raum betreten; in das Gefühl von Resignation mischt sich angenehm auch ein Duft von Feierlichkeit, vermutlich gibt es auch ein Festmahl mit Rehrücken, Burgunder und Champagner, und der glücklich im Greisenalter Arrivierte nimmt dies alles noch ein wenig ernst, er hört nicht ohne Ergriffenheit der Rede des Bundesrates oder Stadtpräsidenten zu, blickt nicht ohne Wehmut auf die Harmlosigkeit und den Übermut früherer Feste zurück und ist also, wie ich befriedigt feststelle, eben doch noch ein Junger und Anfänger im Vergleich mit uns Ganzalten. Denn wir Ganzalten bilden uns ein, jenseits dieser Eitelkeiten in kühler Nachbarschaft des Todes ein weises Leben der mit Würde getragenen Entsagung zu führen, und merken nur selten in besonders hellen Augenblicken, wie wenig das Ganzaltsein sich vom Altsein und wie wenig unsere Weisheit sich von den Illusionen und Eitelkeiten unterscheidet, die wir törichterweise denenzutrauen, die noch nicht auf derselben erhabenen Höhe stehen wie wir. Und in diesen hellen Augenblicken wissen wir auch wieder, wie wir einst als Kinder oder als Knaben oder als Jünglinge über die Alten und die Ganzalten gedacht und gelacht haben, und daß dies

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