Mit Nackten Haenden
Tierarzt zu heiraten?«
»Warum hast du es nicht getan?«
»Weil keiner von diesen Grünschnäbeln Ihnen das Wasser reichen konnte, gerade was den Charme anbelangt, mein lieber Chef«, frotzelte ich.
Wieder ernst, fuhr ich fort:
»Wollen Sie wissen, wie ich wirklich darüber denke, Chef? Ich glaube, dass heutzutage immer weniger Tierärztinnen auf ihren Beruf verzichten, um ihren Ehemännern als Assistentin oder Krankenschwester zur Seite zu stehen. Früher mag es so gewesen sein, aber jetzt nicht mehr. Der Weg dahin ist einfach zu hart! Kann schon sein, dass die frischgebackenen Absolventinnen meist keine Lust haben, den ganzen Tag im Kot zu wühlen, aber das heißt doch nicht, dass Sie daraus die richtigen Schlüsse ziehen!«
Er hob den Blick von der Straße, mit einem Lächeln im Mundwinkel.
»Jetzt wirst du deine hübsche Ansprache sicher mit einer Lobeshymne auf den Mut fortsetzen, den eine Frau braucht, um mit alldem fertigzuwerden, und zum Schluss kommst du auf die Einsamkeit zu sprechen, die daraus erfolgt … Aber vielleicht irre ich mich? Dabei weißt du noch längst nicht alles, junge Frau. Dieser schöne Beruf zählt zu denen mit der höchsten Selbstmordrate. Den Rest kannst du dir denken.«
Ich war zu gereizt, zu aufgewühlt, um ihm zu antworten. Das nutzte er aus, um zum nächsten Schlag auszuholen:
»Ist dir Madame Claude ein Begriff?«
»Ja, vage … War das diese berüchtigte Puffmutter?«
»Genau. Eines Tages hat ihr ein Journalist vorgehalten, ihre Mädchen wären gierig, dächten nur ans Geld, trotz ihrer Eleganz, ihrer Bildung und ihrer vermeintlichen geistigen Unabhängigkeit. Wenn sie aus dem Gewerbe ausstiegen, heirateten sie ausschließlich Unternehmer oder reiche Adlige. Was meinst du, was Madame Claude ihm darauf geantwortet hat?«
»Mhm?«
»Sie antwortete, man heirate eben diejenigen, mit denen man Umgang pflegt. Wenn ihre Mädchen mit Klempnern oder Maurern zu tun gehabt hätten, hätten sie eben Klempner oder Maurer geheiratet …«
»Sie sind frauenfeindlich. Sexistisch. Und ein Misanthrop obendrein.«
»Kann schon sein«, sagte er und seufzte. »Aber ich glaube, ich bin vor allem sehr müde.«
Ich erinnere mich gut an diesen Tag, an den Schwächeanfall vom Chef. Er griff sich an die Brust, machte die obersten Hemdknöpfe auf und biss schwer atmend die Zähne zusammen. Der Schweiß rann ihm in die buschigen Augenbrauen, wütend wischte er ihn weg. Ich stellte ihm keine Fragen. Ich wollte ihn nicht ansehen. So zu tun, als ob nichts wäre, behagte uns beiden. Am folgenden Tag ging es ihm besser. Ich vergaß den Vorfall.
Der Frühling bewegte sich langsam auf den Sommer zu. Ich schlief wenig, fünf bis sechs Stunden pro Nacht. Von Juni an, hatte der Chef erklärt, würde die Arbeit etwas nachlassen, die Geburten wären vorbei, und dann könnten wir ein bisschen verschnaufen. Mir graute vor der angekündigten Freizeit. D’Aurevilly wurde mir immer vertrauter, so weit dieser alte Eigenbrötler, dem seine Ruhe heilig war, das überhaupt zuließ. Er zitierte Rilke, Ich flehe die an, die mich lieben, meine Einsamkeit zu lieben , und Sartre. Er erzählte mir von den Anfängen seines Berufslebens, seiner ersten Citroën-Limousine - zwei Vordersitze, die Rückbank ausgebaut, um Platz für die Instrumente und Medikamente zu schaffen -, auf die ein funkelnagelneuer Peugeot 203 folgte, mit Portaltüren und selbstverständlich ohne Sicherheitsgurt. In seinem Arbeitszimmer hatte er mir ein Foto von sich gezeigt, ein Fuß auf der Heckstoßstange seines Autos, dunkle Mähne, blaue Augen, aufgerollte Hemdsärmel, die den Blick auf stämmige Unterarme freigaben, mächtiger Oberkörper, schiefes Lächeln im Rebellengesicht. Ich fragte ihn, wie viele Mädchen ihm ins Netz gegangen waren. Ernsthafter, als ich erwartet hätte, antwortete er, eine Menge Mädchen, na klar, so viele er nur wollte, aber nicht das richtige. Danach wechselte er das Thema.
Wenn ich an seinen Lieblingswitz zurückdenke, kommt er mir noch genauso traurig vor wie damals, auch wenn ich ihn früher ziemlich blöd fand und heute ein Stückchen Wahrheit darin erkenne, das mir entgangen war.
Mit einem genießerischen Grinsen erzählte er ihn mir von Zeit zu Zeit wieder, so wie man Kindern immer wieder dieselbe Geschichte vorliest: »Warum gucken sich Frauen Pornofilme bis zum Schluss an?« Danach war es mein Part zu protestieren, zu entgegnen, dass Frauen sich nicht unbedingt Pornos anguckten und erst recht nicht
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