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Mit Nackten Haenden

Titel: Mit Nackten Haenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simonetta Greggio
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morgens aufstand, flüchtete ich mich unter die Dusche, abends legte ich mich von Müdigkeit umnebelt hin.
    Meine Golden days . Stundenlang laufen, um zu einer Almhütte zu gelangen, zu nachtschlafender Zeit aufstehen, um eine Kuh abzuhorchen, die im Kreis lief und die Sterne anmuhte, spüren, dass ich den richtigen Griff tat, wenn ich einem Muttertier half, sein Kleines zu gebären. Einen etwas zu forschen Bauern im Stall ohrfeigen, um danach mit dem kleinlauten Mann in seiner Küche einen Kaffee zu trinken, um die Erkenntnis reicher, dass ich als Frau und als Arzt seine Achtung gewonnen hatte. Jeden Tag wieder von vorn beginnen, ohne das Ganze zu hinterfragen, nur im Bewusstsein, dass mein Handeln gut war, mein Wissen nützlich und die Welt ein bisschen besser, weil ich Tag für Tag die nötige Kraft aufbrachte. Und dann noch diese Furchtlosigkeit, die mich auszeichnete. Auf meinem Nachttisch lag eine Revolverattrappe, ein Spielzeug, das mich daran erinnerte, dass ich eine alleinstehende Frau war und alles Mögliche passieren konnte.
    Es passierte aber nichts. Ich war seit vielen Jahren genesen,
meine Wunden waren vernarbt. Ich fühlte mich unbesiegbar, unsterblich. Allerdings kann man sein Gedächtnis nicht ewig trügen, und auf Dauer entkommt man seinem Schicksal nicht.

A n dem Tag, als Gio nach Hause fuhr, wollte ich Annie besuchen. Ich hatte ihn morgens am Bahnhof abgesetzt, widerspenstig und schmollend versicherte er mir, er habe genug Geld, um nach Paris zu gelangen. Nachdem ich meinen Jeep im Tal abgestellt hatte, lief ich einen Gutteil des Vormittags zu Fuß. Es nieselte noch, aber je höher ich stieg, desto klarer und leichter wurde die Luft. Beim Durchqueren einer Alm, wo schöne magere Kühe mit kurzen Zitzen im saftigen Gras weideten, rutschte ich auf einem Fladen aus und landete auf den Hintern. Ich war so verdreckt, dass ich die Hose auszog, um sie im eisigen Wasser des nächsten Bachs auszuwaschen.
    Gegen Mittag erreichte ich die Hütte. Mit der Zeit war sie - trotz oder gerade wegen ihrer Scheu und meines Zeitmangels - für mich zur Freundin geworden, diese Bohnenstange mit den schwarzen Haaren, wettergegerbt und dürr wie eine Weinrebe. Annie ist Hirtin und gibt allen Rätseln auf: Mit achtunddreißig hat sie eine PR-Karriere sausen lassen, um sich mit einer Ziegenherde in den Bergen anzusiedeln. Ein paar Monate
Aufenthalt bei einem Schäfer haben ihr genügt, um die Grundkenntnisse zu erwerben. Niemand kennt die Hintergründe ihrer Entscheidung, aber sie hält sich daran.
    Wenn eines ihrer Tiere erkrankt, pflegt sie es mit den Mitteln, die zur Hand sind. In schweren Fällen bringt sie das Tier selbst um, mit ihren schönen lädierten Händen. Sie ist eine Einzelgängerin, eine ganz Hartgesottene: Es kommt nur selten vor, dass sie meinen fachlichen Rat einholt. Und so suche ich sie auch heute noch auf, ohne dass sie mich darum bitten müsste. Nach dem ersten Mal habe ich nie wieder zugelassen, dass sie mich bezahlt. Wir haben die Sache ein für alle Mal geklärt und nie wieder davon gesprochen.
    In ihrer Hütte hat Annie nur das Nötigste: ein Bett, einen Schrank, eine Küche mit einem Tisch und zwei Stühlen, aber auch ein Satellitentelefon und ein Laptop, die mit Solarenergie betrieben werden.
    Wir brachten den Tag damit zu, ihre Herde zu behandeln, eine wie die andere in die eigenen Gedanken versunken. Ich half ihr, die Klauen der Tiere zu beschneiden, die an Moderhinke litten, von einem Parasiten verursacht, der bei Steinböcken sehr verbreitet ist und ganze Herden verheeren kann.
    Am späten Nachmittag aßen wir eine mit Kräutern gegrillte Zickleinkeule, dazu gesalzene Butter und Brot von einem großen Laib, den ich ihr mitgebracht hatte, und tranken sehr starken Tee. Als ich sah, wie sie das Brot schnitt, wie sie es mit der linken Hand ans Herz drückte, während sie das Messer in der rechten gegen
sich richtete, fragte ich mich, wann sie das gelernt hatte. So hatte sie das »früher« bestimmt nicht gehandhabt.
    Nach und nach setzte der Regen wieder ein. In der Hütte war es schön warm, der Ofen schnurrte. Der Berg murmelte. Eigentlich hätte ich wie sonst, wenn ich hierherkam, den unendlichen Genuss dieser belebten Stille, dieser vollkommenen Ruhe auskosten müssen, aber eine unerklärliche Bitterkeit hielt mich an diesem Tag davon ab. Ich hatte Gio mit seinem Bündel auf einer Bank im Wartesaal sitzen lassen und ihn beim Abschied auf den Scheitel geküsst. Aalgleich durchzuckte mich

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