Mit Nackten Haenden
und sauber, während ich so zerknittert und zerzaust war und dazu noch in Kleidern steckte, die nach altem Mist und Medikamenten stanken, dass ich mich auf einmal schämte. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, verzog ich mich unter die Dusche. Danach ging ich, gehüllt in meinen Bademantel, wieder in die Küche hinunter, wo ich ihn mit den Töpfen klappern hörte.
»Hast du dir vorher die Hände gewaschen?«
»Hör mal, Emma. Weißt du, wie alt ich bin?«
»Ja. Du bist im Katastrophenalter.«
Seine langen Haare fegten über mein Gesicht, als er sich neben mir an den Tisch setzte. Dabei war mir ein kleiner schwarzer Stern aufgefallen, der in seine Nackengrube tätowiert war. Ein paar Sekunden lang beäugte er kritisch das Omelett, dann nahm er seine Nickelbrille ab, putzte sie mit der Serviette und sagte, bevor er über seinen Teller herfiel:
»Und was machen wir jetzt?«
Gio war nur ein paar Stunden alt, als ich ihn zum ersten Mal sah, winzig in den Armen seines Vaters, mit glattem Schädel, die weit aufgerissenen Augen noch blind, die Fäuste um Nägel geschlossen, die nicht größer waren als Reiskörner. Ein Stein war mir vom Herzen gefallen und eine Tränenflut über die Wangen geflossen, Mund und Hals waren ganz nass geworden.
Raphaël hatte verlegen in seiner Tasche gewühlt und mir den Zipfel eines Taschentuchs gereicht. Mir wäre es lieber gewesen, wenn er mich an sich gedrückt und mich getröstet hätte, aber er hatte weggesehen.
Am selben Abend, da lag Micol noch im Krankenhaus, war er bei mir zu Hause aufgetaucht und hatte darauf bestanden, mit mir Gios Geburt feiern zu gehen. Wir zogen die ganze Nacht von einem Tresen zur nächsten Hotelbar, um schließlich an der Theke eines düsteren Bistros zu landen, wo kein Morgenlicht eindrang. Im Auto hatte er mich dann geküsst. Wir hielten uns hinter den beschlagenen Scheiben lange umarmt, zerknitterten uns Kleidung und Gesicht, schweißgebadet, halb von Sinnen. Er wollte, dass ich ihm verzeihe und zu ihm zurückkehre. Noch nie hatte er mich darum gebeten, seit Micol in unser Leben getreten war, seit er mich verlassen hatte.
Unsere Geschichte endete in einer Silvesternacht drei Jahre zuvor. Allerdings nicht kläglich. Ich hatte die Zähne zusammengebissen und den Unglücksort verlassen, bevor ich auf die Knie sank. Aber ich hatte nicht die Kraft, in meine Dachkammer zurückzukehren. Ich verbrachte die erste Nacht des Jahres in Mamas Bett und
lauschte ihrem Atem, ihr Herz schlug sanft und gleichmäßig unter meiner Armbeuge.
Ich musste Schneid aufbringen, um mein Selbstwertgefühl und meine Wunden zu verarzten; außerdem musste ich mir eine Rüstung anlegen, weil ich auf Schritt und Tritt beiden zusammen begegnete, Raphaël und ihr. Wir hatten ja gemeinsame Vorlieben, dieselben Bekannten und Treffpunkte … dieselben Bars, Klubs, denselben Tagesablauf, denselben Lebensstil. Langsam, zunächst über große Umwege, dann immer engere Kreise ziehend, hatte Micol sich mir genähert. Geduldig, beharrlich hatte sie mich schließlich gezähmt. Das war ihr nicht schwer gefallen. Sie und Raphaël waren in meinen Augen die Einzigen, die wirklich vorhanden waren.
Vermutlich war ich jung und in gewisser Hinsicht geschmeidig genug, um mich damals zwischen die Liebe, die ich seit jeher für Raphaël, und die Faszination, die ich für Micol empfand, einzupassen.
Micol war wie ein junger Boxer, der noch nie einen Kampf verloren hatte. Sie war alles, was ich nicht bin, Gatsbys Daisy und die Erbin der Finzi Contini, die in einem längst verschwundenen Garten ihrem Tennisball nachjagt. Ich weiß nicht, ob Raphaël so wie ich empfänglich gewesen war für die freche Anmut derer, die alles für sich in Anspruch nehmen dürfen. Ich weiß nicht, ob er, mit dem blinden Besitzinstinkt aller Männchen, in Micol bloß eine schlanke Flut blonder Locken gesehen hat, eine zierliche Natter mit glühenden Kohlenaugen, oder ob ihn blitzartig die Erkenntnis traf, einem Menschen gegenüberzustehen, der sein Leben von Grund
auf verändern würde. Ich hatte nicht zwangsläufig gedacht, dass Raphaël und ich für immer zusammenbleiben würden, die Frage war mir gar nicht in den Sinn gekommen, aber ich liebte ihn. Liebhaber hatte ich vor ihm gehabt und auch danach, aber er war mein Kerl, mein Liebster, dem ich alles Mögliche und der mir alles Mögliche versprochen hatte, und wäre Micol nicht in unsere Geschichte hineingeplatzt, wäre meine Geschichte anders verlaufen.
Fast zwanzig
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