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Mitternachtsflut

Mitternachtsflut

Titel: Mitternachtsflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Ketterl
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Zweifel, ob sie es noch bis zum Ufer schaffen würde. Aber wer auch immer dort war, schien ihre Gedanken lesen zu können. „Du hast noch genug Kraft, du bist schon viel näher. Sei vorsichtig, jetzt – umdrehen!“ Die Anweisung war klar und duldete keinen Widerspruch. Gehorsam drehte Marie sich auf den Bauch und schwamm auf das jetzt wirklich überraschend nahe Ufer zu. Der große Mann der dort am äußersten Rand der Klippen stand musste wohl doch Manolo sein. Doch als Marie langsam und mühsam näher kam erkannte sie - das war nicht Manolo. Dort, in einem seltsamen Zwielicht, stand ein Fremder.
    Er blickte unverwandt zu ihr hinüber und jetzt, als sie mit letzter Kraft die Klippen erreichte und sich fragte, woher sie die Energie nehmen sollte, sich aus den Wogen zu ziehen, sprang er auf die vorderste Felsnase, bückte sich und streckte ihr helfend beide Arme entgegen. Egal wer er war, Marie konnte sich darüber keine Gedanken mehr machen. Sie war am Ende ihrer Kraft und griff nach seinen Händen. Er musste stark sein, denn er hievte sie in einem kräftigen Zug aus dem gierig an ihr saugenden Atlantik. Als der Fremde sah, dass sie sehr wacklig auf den Beinen war, umfasste er sie vorsichtig und trug sie mehr als dass er sie führte, weg vom kalten Wasser hinauf zu ihrer Tasche. Dort half er ihr behutsam, sich auf einen Felsen zu setzen und reichte ihr das Badetuch. Marie wickelte sich in das Tuch und sah sich ihren Retter endlich genauer an. Er musste doch einer der Strandhippies sein, niemand sonst war um diese Zeit hier unten. Seltsam, sehr seltsam, sie hatte ihn noch nie gesehen. Über eines war sie sich schnell klar. Sie hätte ihn definitiv nicht übersehen, wäre er ihr früher schon begegnet. Er war sehr groß, mindestens so groß wie Manolo. Seine dichten, langen Haare sahen so aus, wie die einiger der alteingesessenen Fischer, ein warmes Honigblond mit vereinzelten dunkleren Strähnen. Die lockigen Haare umrahmten ein schmales, braungebranntes Gesicht aus dem zwei strahlende, hellblaue Augen Marie besorgt und fragend anblickten. Sein Mund, der wie Marie mit Kennerblick feststellte, außergewöhnlich schön geschwungen war, verzog sich nun zu einem erleichterten Lächeln, als er sah, dass sie zwar erschöpft aber sonst unversehrt war. Er trug nichts bis auf einen bodenlangen, cremefarbigen Leinenrock, zumindest erschien das Kleidungsstück Marie wie ein Rock. Sein Oberkörper war ausgesprochen durchtrainiert und wäre er ihr nicht hier über den Weg gelaufen, hätte Marie auf jahrelanges Training im Fitnessstudio getippt. An seinen Handgelenken klimperten unzählige schöne Kettchen und Bänder aus Muscheln und kleinen Lavasteinchen und an seinen Ohrläppchen hingen gekonnt geschnitzte Holzfigürchen. Er schien diverse Talente zu haben, neben der Rettung von unvernünftigen Schwimmerinnen. „Danke!“ Es kam aus tiefster Seele und zu ihrem Ärger hauchte Marie es fast, aber der Fremde verunsicherte sie auf eine nie dagewesene Weise. Also räusperte sie sich kurz und heftig und setzte erneut an. „Danke, dass du mich da rausgeholt hast. Ich hätte das wohl alleine nicht mehr geschafft. Ich hab dich hier noch nie gesehen, woher kennst du denn meinen Namen?“ Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Ich kenne deinen Namen nicht. Wie kommst du darauf?“
    Ach verflixt, nun hatte er auch noch eine Stimme wie Samt und Seide, je länger Marie in sich hineinhorchte, umso mehr glaubte sie den jungen Manolo vor sich zu haben. Die blauen Augen, die Größe, die langen Haare – wenn auch nicht weiß – das geradezu unverschämte Lächeln. Es schien so vertraut. „Na komm. Du hast doch meinen Namen gerufen, als ich da draußen war, ich habe es deutlich gehört. Du hast mir gesagt was ich tun soll. Wie hast du das gemacht? Du warst doch ewig weit von mir weg hier am Ufer?“ Marie war vollkommen verwirrt.
    „Dazu müsste ich ja über fast magische Kräfte verfügen.“ Verdammt, schon wieder dieses Lächeln. „Ich habe, ehrlich gesagt, gehofft, dass du es alleine schaffst, denn ich hatte kein allzu großes Bedürfnis in das kalte Wasser zu springen, um dich zu retten. Aber sei beruhigt, ich hätte es getan!“
    Nein, nein, nein! Hör sofort auf zu lächeln!
    Marie versuchte krampfhaft einen klaren Gedanken zu fassen. „Aber...“ setzte sie erneut an, doch der Fremde unterbrach sie mit einer auffordernden Handbewegung. „Nein, jetzt kein „Aber“, dir ist erbärmlich kalt und du zitterst schon die ganze

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