Mittsommerzauber
hinaus zu diesem kleinen Schafbauernhof zog. Sie hatte nie eine besondere Affinität zum Landleben gehabt, und zu Schafen schon gar nicht. Britta hatte es auf den Punkt gebracht, indem sie einen ihrer trockenen Kommentare abgegeben hatte: Die Biester stinken, sind störrisch und machen einen Riesenhaufen Mist.
Das traf es ziemlich genau, Eva konnte es schlecht abstreiten. Die Sachen, die sie beim Arbeiten im Stall und auf der
Koppel getragen hatte, rochen sogar nach dem Waschen noch leicht streng. Ihre Fingernägel waren abgebrochen, die Haut an ihren Händen war rissig, und auf der Nase hatte sie einen unkleidsamen Sonnenbrand. Ihr Rücken und ihre Schultern schmerzten immer noch bei jeder Bewegung, und seit sie hier war, hatte sie bereits zwei Paar Schuhe ruiniert.
Die Arbeit war schmutzig und anstrengend, und viel Geld ließ sich damit letztlich auch nicht verdienen. Von dem, was Gustav für die Wolle und den Käse einnahm, konnte er sich wahrlich kein luxuriöses Leben leisten. David hatte gemeint, es reiche gerade für das Nötigste.
Und doch gab es da draußen etwas, das verlockend auf sie wirkte, ob es nun das Land war oder die besondere Atmosphäre des Hofes - am liebsten wäre sie jeden Tag hinausgefahren.
Doch das war nicht der einzige Gedanke, der sie beschäftigte. Als sie an diesem Morgen an den Rapsfeldern vorbeiradelte, fühlte sie sich innerlich zerrissen. Mehr denn je war sie sich bewusst, in welch verfahrener Situation sie steckte. Was David und Monica betraf, so konnte sie nur hoffen, dass er es ernst meinte und tatsächlich seine Amerika-Pläne aufgegeben hatte. Und vor allem natürlich, dass er Monica nicht länger über seine neue Beziehung im Unklaren ließ.
Doch Eva wusste auch, dass sie in dem Punkt ihre Erwartungen nicht zu hoch schrauben durfte. Wenn er es nicht fertig brachte, sich von Monica zu trennen, konnte sie ihm das keinesfalls vorwerfen. Immerhin waren die beiden sozusagen von Kindesbeinen an zusammen. Ganz zu schweigen davon, dass sie selbst bisher zu feige gewesen war, mit Henning über den neuen Mann in ihrem Leben zu reden, obwohl sie die Gelegenheit dazu gehabt hätte. Statt ehrlich zu sein, wie es sonst ihrer Art entsprach, hatte sie sich gedrückt, und das auch noch mit der hanebüchenen Ausrede, dass sie Henning für die Umsetzung ihrer neuen Ideen brauchte. Seine Firma war dafür ideal, das war natürlich richtig. Aber sie hätte jederzeit auch einen anderen Vertriebsweg finden können, denn ihre Entwürfe für die Strickkollektion waren nicht nur passabel, sondern exquisit. Außerdem waren sie, und das war entscheidend, auf eine Art innovativ, dass damit eine komplett neue Produktlinie etabliert werden konnte, und zwar möglicherweise sogar international. Sie hätte Henning dafür nicht gebraucht. Warum also sagte sie ihm nicht einfach die Wahrheit? Wen ging es denn an, wenn nicht ihn? Verdammt noch mal, sie liebte einen anderen Mann!
Eva schloss kurz die Augen und ließ den Gedanken nachhallen. Ja, sie liebte David. Es war das erste Mal, dass sie es sich selbst explizit eingestand, ihrer Gefühle völlig sicher, ohne den Hauch eines Zweifels.
Sie stellte ihr Rad wie immer in der Einfahrt ab, neben dem alten Pick-up. Die Stalltür stand offen, und als sie näher kam, sah sie Gustav auf einem Strohballen sitzen und das verstoßene Lämmchen mit der Flasche füttern. Sie wollte sich gerade bemerkbar machen, als ihr der verzerrte Ausdruck auf seinem Gesicht auffiel. Im nächsten Moment hob er die Hand und presste sie ins Kreuz. Ein lang gezogenes Stöhnen entrang sich ihm, während er sich nach vorn beugte, in eine besser erträgliche Sitzposition.
Eva wusste sofort, dass er gestern gelogen hatte. Man hatte ihn mit Sicherheit nicht einfach aus dem Krankenhaus entlassen. Er hatte mal wieder seinen Kopf durchgesetzt und war vermutlich in einem unbeobachteten Moment verschwunden. Es war von himmelschreiender Offensichtlichkeit, dass er ohne fremde Hilfe keine paar Tage zurechtkommen würde.
»Hej«, sagte sie vorsichtig. »Ich wollte nur fragen, ob ich...«
Gustav fuhr auf, und als er sie sah, verfinsterte sich seine Miene. »Ich habe doch gesagt, dass ich allein klarkomme! Wieso denkt ihr immer nur alle, dass ich ein gebrechlicher alter Mann bin?«
Eva wurde wütend. »Wie kann man nur so stur sein! Ich will doch nur helfen! Nichts weiter!«
»Kein Mensch will nur helfen.« Seine Stimme triefte nur so von ätzendem Sarkasmus. »Mir schon gar nicht.«
»Da
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