Mittsommerzauber
Tochter!«
*
David Lilienberg war sich Monicas Gegenwart überdeutlich bewusst, obwohl er sie nicht anschaute. Er stand mit dem Rücken zu ihr, die Hände in den Taschen seines Laborkittels vergraben, und schaute aus dem Fenster seines Büros über die Stadt. Flüchtig ging ihm die Frage durch den Sinn, ob das, was er vorhatte, wirklich dem entsprach, was er wollte. Er schätzte sein Labor mit all den technischen Möglichkeiten, und er mochte die meisten seiner Kollegen. Die diffuse Unzufriedenheit, die ihn hin und wieder überkam, hatte er bisher leicht verdrängen können, indem er sich voll konzentriert in neue Entwicklungsprojekte stürzte. Die Lebensmittelforschung und -entwicklung war ein weites Feld, und als Chemiker hatte er mehr als eine Möglichkeit, sich neue Gebiete zu erschließen. Er war einem Jobwechsel keineswegs abgeneigt.
Doch im Vergleich zu seinen Ambitionen waren die von Monica weit stärker darauf ausgerichtet, auf der Karriereleiter nach oben zu steigen, und zwar möglichst rasch und möglichst weit.
Vielleicht lag es daran, dass sie in anderen Verhältnissen aufgewachsen war als er. Sie hatte nie einen Hehl daraus gemacht, wie verhasst ihr das primitive Leben ihrer Jugend war. Seit ihrer Kindheit schien sie von diesem nie enden wollenden Hunger besessen, mehr aus sich zu machen.
Schweigend schaute er aus dem Fenster. Das Hauptgebäude von Svenskfood befand sich auf Södermalm, direkt am Söder Mälarstrand. Der Ausblick aus dem fünften Stock war atemberaubend. Rechts lag die Altstadt-Insel Gamla Stan, davor Riddarholm mit seinen unverwechselbaren Kirchtürmen, und direkt gegenüber befand sich das Wahrzeichen Stockholms, das Stadthaus, dessen Turm mit den drei Kronen weithin sichtbar war.
Wäre es bei seiner Arbeit allein um die Aussicht gegangen, so überlegte David mit schwacher Selbstironie, hätte er nicht einmal im Traum daran gedacht, nach Amerika zu gehen, auch wenn Monica geschworen hatte, dass die Aussicht über den Michigansee diese hier noch um ein Vielfaches übertraf.
»Wieso sagst du nichts?«, fragte sie hinter ihm. »Hast du keine Meinung dazu? Wir beide in Chicago! Bei einem der größten Lebensmittelkonzerne der Welt!«
»Ich weiß, dass es eine Wahnsinnsfirma ist«, sagte David. Er merkte, wie leises Unbehagen in ihm aufstieg. Langsam drehte er sich zu Monica um. »Trotzdem bin ich nicht wirklich sicher. Ich kann nicht mal sagen, wieso. Tut mir Leid.«
»David, die Forschungsabteilung bei Unicom ist Weltspitze!«, rief Monica. »Was willst du denn noch? Ich habe den Job, den ich immer wollte, und ich habe sie dazu gekriegt, dir dasselbe Angebot zu machen!« Monica strahlte ihn an. »Hey, wir sind ein Gewinnerteam, klar?«
»Klar«, sagte David ohne großen Enthusiasmus.
Er beobachtete, wie sie ihr langes dunkles Haar hinter die Ohren strich, eine Geste, die immer auf besondere Weise ihre Entschlossenheit zu untermauern schien. Wenn sie das tat, brachte sie damit in der Regel zum Ausdruck, dass Widerspruch zwecklos war.
Sie war anscheinend wild entschlossen, ihrer beider Jobwechsel als vollendete Tatsache zu betrachten. Und sie legte offenbar Wert darauf, das Ganze gebührend zu feiern. Sie nahm eine Flasche Champagner aus dem Kühlschrank, in dem David normalerweise einige Probekulturen aufbewahrte. »Schau mal, was ich hier habe!«, meinte sie lächelnd.
»Ich muss noch arbeiten«, sagte David amüsiert, während sie Anstalten machte, die Flasche zu öffnen. Er fragte sich, wann sie die hier reingeschmuggelt hatte. Er war heute den ganzen Tag hier gewesen, also musste sie es gestern getan haben. Anscheinend hatte sie nicht den geringsten Zweifel daran, dass er ebenso versessen auf den Job in Chicago war wie sie selbst.
»Was soll dir passieren, wenn du einen Schluck Champagner trinkst?«, fragte Monica. »Kündigung? Na und? Wir haben bald was Besseres.«
Das Telefon klingelte, und David hob ab.
»Svenskfood Stockholm, David Lilienberg hier.«
Eine aufgeregte Frauenstimme tönte an sein Ohr. »Bitte, ist Monica Axelsson da? Die Sekretärin sagte mir, sie sei bei Ihnen im Büro!«
»Ja, sie ist hier. Moment, bitte.« Er hielt den Hörer mit einer Hand zu und drehte sich zu Monica um. »Für dich.«
»Ich rufe später zurück. Frag bitte, wer dran ist.« Monica schenkte Champagner in zwei Gläser und lächelte ihn verheißungsvoll an. Sie wirkte gelöst, beinahe glücklich. David konnte nicht umhin, sich klar zu machen, wie ungewohnt dieser Anblick
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