Mittsommerzauber
W enigstens frühstücken könntest du noch mit uns«, sagte Eva zu Henning, während sie gemeinsam aus dem Haus traten. Doch im selben Moment, als sie es aussprach, merkte sie, dass sie es gar nicht so meinte. In Wahrheit freute sie sich darauf, mit Britta allein zu sein.
Zusammensitzen, klönen, lachen, in alten Erinnerungen schwelgen - es war nicht dasselbe, wenn Henning dabei war. Britta behandelte Henning zwar mit ausgesuchter Freundlichkeit, aber Eva war ziemlich sicher, dass sie ihn nicht sonderlich mochte. In Anbetracht der Tatsache, dass er nicht nur Evas Chef, sondern auch ihr Freund war, stellte das ein nicht zu übersehendes Dilemma dar, und Eva fragte sich in diesem Moment wieder, wieso ihr Freund und ihre beste Freundin nicht unter einen Hut zu bringen waren. In umgekehrter Richtung existierte dieses Problem nicht. Eva hatte Peter, Brittas Mann, auf Anhieb gut leiden können.
Sie streckte die Hand aus, um ihre Freundin zu stützen. Britta ließ es sich mit übertriebenem Augenrollen gefallen, und Eva unterdrückte ein Grinsen. Wäre Henning nicht dabei gewesen, hätte Britta vermutlich eine ihrer gewohnt sarkastischen Bemerkungen vom Stapel gelassen, zum Beispiel Ich bin schwanger, aber nicht invalide oder Pass lieber auf deine eigenen Füße auf.
Stattdessen sagte sie: »Bleib ruhig noch zum Frühstück, Henning. Deine Firma kommt doch bestimmt noch einen Tag ohne dich aus, oder?«
»Ich fürchte, wir können es kaum verkraften, wenn Eva vier Wochen nicht in der Firma ist«, sagte Henning.
Britta lachte. »Jetzt macht er mir wirklich ein schlechtes Gewissen.«
»Unsinn«, meinte Henning.
»Keine Sorge, Henning kommt prima ohne mich zurecht«, ergänzte Eva. »Vier Wochen sind schnell vorbei, und ich denke gar nicht dran, dich beim Kinderkriegen allein zu lassen. Wozu sind beste Freundinnen da?«
Henning verzog das Gesicht, ein Ausdruck zwischen Amüsement und Spott. »Frauenpower, hm?« Achselzuckend setzte er hinzu: »Es ist schon in Ordnung. Ich werde es überleben, und die Firma auch.«
Er öffnete die Wagentür und warf seine Reisetasche auf den Rücksitz. Seine Bewegungen ließen Eile erkennen. Schon als sie gestern Abend hier angekommen waren, hatte Eva gemerkt, dass er sich nicht sonderlich wohl gefühlt hatte. Während der Fahrt hierher hatte er Witze über die ländliche Gegend gerissen und behauptet, dass es rund um Barkhult vermutlich mehr Elche und Wölfe gebe als vernünftige Menschen. »Wer freiwillig hier rauszieht, hat sie doch nicht mehr alle«, hatte er gemeint.
Dem hatte Eva mit einer Bestimmtheit widersprochen, die Henning wahrscheinlich nicht an ihr gewohnt war. »Ich finde es wundervoll«, hatte sie entschieden erwidert.
Die Menschen dieser Gegend lebten überwiegend von der Fischerei und der Landwirtschaft, und nur in den etwas größeren Orten blühte vereinzelt auch der Tourismus. Auch Barkhult mit seiner malerischen Seenlandschaft und den Birkenwäldern lockte eine Reihe Sommerfrischler an, doch es war und blieb auch bei objektiver Betrachtungsweise ein Kaff. Dennoch mochte Eva jeden Winkel dieser
Gegend, jedenfalls, so weit sie bisher hier herumgekommen war.
Henning wandte sich zu ihr um. »Wiedersehen«, sagte er, während er Eva in seine Arme zog. »Viel Spaß in der Provinz. Und pass auf dich auf!«
Sie hob ihm das Gesicht entgegen und erwiderte seinen Kuss mit aller Wärme, die sie im Moment aufbringen konnte, doch sie merkte beklommen, dass es nicht allzu viel war. Als Henning sie losließ, trat sie hastig einen Schritt zurück und legte den Arm um Brittas Schultern. Henning setzte sich hinters Steuer, ließ das Seitenfenster herabgleiten und streckte den Kopf heraus. »Also, bis dann.«
»Kommst du am Wochenende her?«, fragte Eva aus einem Impuls heraus. Vielleicht wäre ja alles wieder in Ordnung, wenn er in ein paar Tagen wiederkam! Möglicherweise brauchte sie nur mal eine kurze Auszeit, ein bisschen Abstand von der Arbeit. Und von ihm.
»Komm doch einfach«, wiederholte sie zögernd. »Ohne Laptop, ohne Arbeit. Nur mal so, zum Ausspannen!« Vielleicht war das ja genau das, was sie beide brauchten! Doch noch bevor sie den abweisenden Ausdruck in seinen Augen sah, wusste Eva, dass sie sich in diesem Punkt etwas vormachte. Ob mit oder ohne Laptop, er hasste das Land, und daran würde sich auf die Schnelle sicher nichts ändern.
»Du lieber Himmel!« Henning schüttelte lächelnd den Kopf. »Kommt überhaupt nicht infrage. Einer von uns beiden muss
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