MK Boeckelberg
dass die Polizei ihn einfach ignorierte. Waren sie so abgebrüht? Oder steckten sie gar mit seinen Auftraggebern unter einer Decke? Das war möglich, denn sie waren mächtig. Sehr mächtig.
Er musste es herausfinden. Wollten sie ihn provozieren? Damit er, wie sie es sagen würden, einen Fehler machte? Aber einer wie er machte keinen Fehler. Darauf würden sie lange warten können. Die Umgebung seiner Aufnahme war sorgfältig ausgewählt. Nichts deutete auf den Ort hin. Er war klinisch sauber, sozusagen. Er hatte am Anfang wochenlang die besten Einstellungen geprobt. Hatte die Kamera in verschiedene Positionen gebracht, hatte das Zentrum sorgsam ausgeleuchtet, immer wieder das Ergebnis überprüft, wieder und wieder neu begonnen. Bis er endlich zufrieden gewesen war und er seinen ersten »Fall« bearbeiten konnte.
Dabei hatte er es gar nicht so sehr auf Sicherheit angelegt. Er war von Beginn an davon überzeugt, dass der Ort ihn verraten würde. Dafür war der Raum zu ungewöhnlich gewöhnlich. Ihm war es mehr darum gegangen, seinen Auftraggebern die wirkungsvollste Perspektive bieten zu können. Er hatte sich und seine Arbeit bestens in Szene setzen wollen. Und er hatte sein Ergebnis optimal präsentieren wollen. Er brauchte die Qualität der Bilder, um die ungewöhnliche Qualität seiner Arbeit optimal präsentieren zu können. Er überlegte. Was blieb noch zu tun? Die Polizei hatte nicht reagiert. Nicht sichtbar, jedenfalls. Was tat sie gerade? Und was konnte er tun, um seine Auftraggeber noch mehr ins Abseits zu drängen? Wie konnte er die Ermittler auf den Weg bringen? Er musste sie zu seinen Freunden machen. Er würde ihnen den Weg zeigen zu denen, die sie finden wollten. Denn sie, seine sogenannten ehrenhaften Auftraggeber, hatten ihren größten Fehler begangen. Sie hatten ihn verletzt, hatten seine Arbeit in Zweifel gezogen, hatten ihm sogar gedroht. Das durfte nicht ohne Folgen bleiben. Schließlich hatte er Prinzipien. Die feinen Herren mussten für ihr Verhalten bezahlen, ohne Rücksicht auf das eigene Schicksal. Er musste jetzt konsequent seinen Weg gehen. Er hatte den Beginn einer perfekten Spur gelegt. Und er würde perfekt den Weg zu Ende gehen. Das war er sich schuldig.
Die Seelen der Kinder konnte er immer und überall finden. Das hatten die vergangenen Jahre ihm bewiesen. Wie leicht es doch war, die Kleinen für sich zu gewinnen. Und wie leicht es doch war, ihren Seelen auf die Spur zu kommen. Er brauchte seine Auftraggeber nicht mehr. Er war frei und konnte selbst für sich die richtige Entscheidung treffen. Er war nicht länger abhängig, nicht seit er die DVD mit den Bildern der Frau »veröffentlicht« hatte. Er würde der Polizei weiter helfen bei der Suche nach den Schuldigen. Sie würden bezahlen müssen. Sie hatten ihn gedemütigt mit der Frau. Jetzt war er sein eigener Herr. Herr über seine Seele und die Seelen der kleinen Kinder, die ihn immer so freundlich anlächelten, wenn sie zu ihm kamen.
Er pfiff leise vor sich hin, als er das Licht löschte, den Raum verließ und den Geruch des satten Grüns tief in sich aufsog. Er blieb einen Moment stehen und blinzelte in die Sonne. Es war ein schöner Tag. Und er wusste mit einem Mal mit einer Klarheit, die ihn selbst verblüffte: Es war der erste Tag seines Lebens, der ihm ganz allein gehörte.
Und er wusste auch schon, wo er die nächste Seele finden würde.
* * *
Der Vormittag war sonnig. Er brachte eine leise Ahnung davon, wie der Sommer sein könnte. Die Luft roch frisch und klar. Das frische Grün der Bäume leuchtete.
Aber Daniel C. Hünner hatte keinen Blick für die aufbrechende Natur. Er saß seit mehr als einer Stunde mit Karsten Mösges zusammen.
»Du musst etwas tun!« Hünner sah den Baudezernenten an.
Mösges war bisher mehr oder weniger einsilbig geblieben. Er hatte offenbar wenig Lust, in den Sog von Hünners Partei- und sonstigen Problemen zu geraten.
»Es gibt keinen Grund, den Kopf zu verlieren. Das hat man dir doch schon signalisiert. Bleib also auf dem Teppich. Es wird nichts passieren. Und hör auf, mich in deine Probleme hineinzuziehen. Ich habe genug mit mir selbst zu tun.« Mösges Tonfall war schärfer geworden.
»Was heißt hier ›meine Probleme‹? Das erzählst du mir schon seit Wochen! Ich kann das nicht mehr hören, Karsten! Verstehst du? Das sind, verdammt noch mal, auch deine Probleme, vergiss das nicht!«
»Hör auf zu schreien, oder willst du, dass der ganze Flur hört, was der hochgeschätzte
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