Pesch, Helmut W.
Helmut W. Pesch
Die Kinder der
Nibelungen
Inhaltsangabe
Als Siggi, Gunhild und Hagen in einem alten Brunnen etwas Goldenes blinken sehen, können sie noch nicht ahnen, dass sie auf den sagenumwobenen Ring des Nibelungen gestoßen sind. Er führt sie in das Reich der alten germanischen Götter.
Doch der Fluch des Rings macht auch vor ihnen nicht Halt. Der alte Hass gebiert neuen. Und die drei Freunde können nur dann in ihre Welt zurück, wenn sie einander vertrauen. Wenn der Hass den Sieg davonträgt, werden auch sie im Weltenbrand der Götter untergehen.
BASTEI LÜBBE TASCHENBUCH
Band 20 433
1. Auflage: Februar 2002
Vollständige Taschenbuchausgabe
Bastei Lübbe Taschenbücher
ist ein Imprint der Verlagsgruppe Lübbe
© 1998 by Verlag Carl Ueberreuter, Wien All rights reserved
© Taschenbuch-Lizenzausgabe 2002 by
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG,
Bergisch Gladbach
Vom Autor durchgesehene Fassung
Titelillustration: Arndt Drechsler
Umschlaggestaltung: QuadroGrafik, Bensberg Satz: QuadroPrintService, Bensberg
Druck und Verarbeitung:
Brodard & Taupin, La Flèche, Frankreich Printed in France
ISBN 3-404-20433-6
Sie finden uns im Internet unter
http://www.luebbe.de
Dieses eBook ist umwelt- und leserfreundlich, da es weder chlorhaltiges Papier noch einen Abgabepreis beinhaltet! ☺
Für Horst von Allwörden,
ohne den dieses Buch
nie zustande gekommen wäre!
1
Der Nibelungenbrunnen
Aus der Tiefe des Brunnens blinkte es golden herauf.
»Da ist was!«
Die Stimme kam von einem blondschöpfigen Jungen, dessen Kopf, umrahmt von einem Kranz aus Licht, über den dunklen Kreis des Brunnenrands lugte.
Eine Sekunde später schoben sich zwei weitere Köpfe vor das strahlende Blau des Sommerhimmels, der eine blond, der andere dunkelhaarig.
»Ich kann nichts sehen«, sagte der Dunkelhaarige. Seine Stimme hatte einen kaum wahrnehmbaren Akzent, obwohl sein Deutsch einwandfrei war.
»Jetzt ist es wieder weg.«
»Du spinnst, Siggi.« Eine Mädchenstimme, die zu dem zweiten Blondschopf gehörte. Die Sprecherin schüttelte unwillig den Kopf.
Ein langer Zopf wippte über ihre Schulter in die Tiefe. Dann zogen sich die Köpfe wie auf ein geheimes Zeichen alle gleichzeitig zu-rück, und die drei richteten sich auf und sahen sich an.
Sommerliche Hitze hing über der Lichtung. In den Schatten zwischen den Linden, wo sich Dorngestrüpp mit Brennnesseln stritt, war der Fingerhut bereits erblüht und stand in satten, rosa-purpur-nen Dolden. Aus dem Dickicht erklang das Lied einer Amsel; es war so rein und süß, dass man die Augen schließen und nur noch träumen wollte, von alten Zeiten und fremden Ufern und einer fernen, schönen, besseren Welt.
Es war das Wochenende vor den Großen Ferien, doch da ihr Fe-riengast bereits gestern eingetroffen war, hatten sie kurz entschlossen ihre Räder gepackt und waren in den Wald hinaufgefahren.
Doch diese Stelle konnte man nicht mit dem Rad erreichen. Bis hierher waren die Touristen, die den Odenwald um diese Jahreszeit zuerst in Tropfen, dann in immer größeren Bächen und Strömen heimzusuchen begannen, noch nicht vorgedrungen. Dies war ihr Geheimnis. Und sie hatten beschlossen, es mit ihrem neuen Freund zu teilen.
Der Brunnen war alt, aus Bruchsteinen aufgemauert und früher einmal mit einem Rieddach bedeckt gewesen, das aber längst von Wind und Regen abgetragen worden war. Die Seilwinde war jedoch noch da; das Seil hing in den Brunnenschacht hinab. Der Eimer fehlte ebenfalls. Ob er geklaut worden oder einfach in den Brunnen gefallen war, weil das alte Seil nachgegeben hatte, ließ sich nicht sagen.
»Was ist das für ein Brunnen?«, fragte der Dunkelhaarige. Er mochte etwas älter sein als die beiden Geschwister – denn dass es sich bei ihnen um Bruder und Schwester handelte, war ganz offensichtlich –, wenn er auch einen halben Kopf kleiner war, und er wirkte sichtlich irritiert.
Siggi, der Blondschopf, grinste, und seine Schwester grinste eben-
falls.
»Du musst genau hingucken«, sagte sie. »Da ist eine Inschrift.«
Der Ältere ging in die Hocke und suchte die Steine der Einfas-sung ab. Dort, wo das Licht der Mittagssonne von schräg oben die Mauer streifte, glaube er feine Kratzer zu erkennen, die sich, wenn man ein bisschen Fantasie besaß, in der Tat zu seltsam eckigen Buchstaben zusammenfügten.
Zwischen seinen Augenbrauen bildete sich eine steile Falte.
»M-I-M-I-R …«, buchstabierte er.
»Was?«, entfuhr es Siggi entgeistert. »Das
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