Mörderische Ärzte: der hippokratische Verrat
gelang ihm schließlich, sich der Teilnahme an den Kälteversuchen zu entziehen.
Die Luftwaffe dagegen stimmte Raschers Plänen bedenkenlos zu. Generalfeldmarschall Milch selbst befürwortete es, dass Rascher mit den Versuchen im KZ Dachau begann. Wiederum wurde eine »Forschungsgruppe«
gebildet, die den Namen SEENOT erhielt.
Professor Holzlöhner, ein Kieler Physiologe, hatte mit Tierversuchen bereits Vorarbeit geleistet. Unter seiner Leitung sollte Rascher die Versuche durchführen. Zähneknirschend musste Rascher akzeptieren, dass er Holzlöhner unterstellt wurde. Aber das verlangte nun einmal die militärische Hierarchie, schließlich war Rascher noch immer der kleine Stabsarzt. Umso energischer bemühte sich Rascher nun, die Luftwaffe zu verlassen und mit einem höheren Rang als SSArzt weiterzuarbeiten. Doch dieser Versuch scheiterte vorerst. Die Luftwaffe wollte ihren skrupellosen Experimentator, von dem auch sie Nutzen hatte, nicht so bald freigeben.
In den folgenden Monaten führten Holzlöhner, Rascher und ein dritter Arzt, Dr. Finke, mehrere hundert Unterkühlungsversuche durch.
Die Opfer mussten sich in voller Fliegeruniform in ein Becken mit eiskaltem Wasser legen. Eine Schwimmweste verhinderte, dass sie untergingen. Nach 5 bis 10 Minuten begann sich die Skelettmuskulatur zu versteifen, die Arme pressten sich, stark angewinkelt, an den Körper an und konnten nicht mehr bewegt werden. Krämpfe schüttelten den Körper. Die Lähmung der Atemmuskulatur erschwerte und verlangsamte die Atmung. Das Bewusstsein trübte sich, bald trat Kältenarkose ein. Sank die Körpertemperatur unter 28 °C, endeten die dadurch bedingten Herzrhythmus-Störungen mit plötzlichem Herzstillstand.
Rascher führte die Kälteversuche bewusst bis zum tödlichen Ende. Danach obduzierte er meistens die Opfer, um die Todesursache festzustellen.
Daneben machte er, wie Himmler gewünscht hatte, eine Reihe von Versuchen, die der »Rettung« aus drohender Todesgefahr dienen sollten. Die Ergebnisse waren von erschreckender Banalität und offenbarten den verbrecherischen Wahnsinn dieses Unternehmens. So schrieb Rascher am 16. Oktober 1942 an Himmler u. a.: »Nach der Bergung aus dem kalten Wasser kann 15 Minuten und länger sich ein weiterer Temperaturabfall vollziehen. Dies gibt eine Erklärungsmöglichkeit für Todesfälle, die nach der Rettung aus Seenot auftreten. Starke Wärmezufuhr von außen schädigt den stark Abgekühlten nie. Als wirksamste therapeutische Maßnahme wird eine aktive massive Wärmebehandlung nachgewiesen, am günstigsten ist das Einbringen in ein heißes Bad. Die Erprobung von Anzügen gegen Wasserkälte zeigte, dass die Überlebensdauer auf über das Doppelte sich steigern lässt.«
Prof. Holzlöhner beteiligte sich persönlich an einer Reihe Unterkühlungsversuche. Auch ihm mag dabei wie Dr. Romberg Raschers Mordlust unheimlich geworden sein. Holzlöhner erklärte im Oktober 1942 offiziell, man wisse nun genug über die Kälteeinwirkung, er werde die Versuche beenden. Das gefiel Rascher durchaus nicht. Er denunzierte Holzlöhners »Humanitätsduselei« bei Himmler und erklärte, er werde die Versuche weiterführen.
Bereits Ende des Monats genehmigte Himmler ihm die Fortsetzung der Kälteversuche. Dabei wies er auf sein Lieblingsprojekt hin, die Rettung durch animalische Wärme. Diese Versuche, die in der Praxis des Seekrieges überhaupt nicht durchführbar und deshalb völlig sinnlos waren, dienten Himmler und Rascher zweifellos dazu, ihre perversen Sexualphantasien zu befriedigen. Denn Himmler selbst begab sich wieder nach Dachau, um einen solchen Versuch mit anzusehen.
Aus dem KZ Ravensbrück waren vier junge Frauen nach Dachau gebracht worden. Sie sollten mit ihrem Körper die »animalische Wärme« liefern. Was sich Himmler bei einem solchen Versuch von Rascher vorführen ließ, soll auszugsweise mit Raschers eigenen Worten aus seinem Geheimprotokoll vom 12. Februar 1943 berichtet werden. Der sachlich-kalte Berichtston lässt trotzdem in jedem Satz das voyeuristische Vergnügen der Zuschauer Himmler und Rascher ahnen:
»Die Versuchspersonen wurden in der üblichen Weise - bekleidet oder unbekleidet - in kaltem Wasser zwischen 4 und 9 Grad abgekühlt. Die Abkühlung auf niedere Werte erfolgte in der üblichen Zeit. Die Herausnahme aus dem Wasser geschah bei 30 Grad Rektal-Temperatur. Bei dieser Temperatur waren die Versuchspersonen stets bewusstlos.
In 8 Fällen kamen die Versuchspersonen zwischen 2
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