Mörderische Landschaften - Kriminelles aus dem Osten
schien. Es war die reine Freude, ihn zu sehen. Die Zeiten großer Schiffsuntergänge hatten wir längst hinter uns. Wir saßen auf meinem Balkon, Kaffee, ich ohne, er mit Zigarette, und wir blickten auf den schönen alten Friedhof. Wie gesagt, die kleine Sakristei und links das alte Kassegewölbe.
Egon schielte schräg nach links, stellte die Tasse ab und sagte: »Schiller ist tot.«
»Egon«, sagte ich sanft, »ich weiß.«
»Und es sind nicht seine Knochen in dieser Gruft.« Er meinte die Goethe-Schiller-Gruft auf dem Historischen Friedhof zu Weimar.
»Nein«, sagte ich, »das haben sie herausgefunden. Irgendwie komisch ist das schon. Da kommen seit fast zweihundert Jahren Leute aus aller Welt, um vor den beiden Särgen der großen Deutschen andächtig innezuhalten, und dann ist Schiller gar nicht Schiller, obwohl man denken müsste, wo Schiller dran steht, müsste auch … Aber tot ist er.«
»Es war Goethe«, sagte Egon grimmig.
»Was war Goethe?«
»Goethe hat Schiller umgebracht oder umbringen lassen. Schiller wusste zu viel. Würdest du an deine Geliebte einen Brief auf Französisch schreiben, wenn die gar nicht Französisch kann?« Er sprach den Kalauer nicht aus, den ich dachte. Nein, er schien seine Frage todernst zu meinen.
»Ich habe keine Geliebte, Egon. Und mein Französisch ist etwas schwach auf der Brust.«
Egon winkte ab. Er wollte auf etwas anderes hinaus. »Goethe hat Schiller auf dem Gewissen.«
Ich dachte, Egon trinkt vielleicht hin und wieder ein Glas Bier, aber sonst ist er trocken. Musste ich mir Sorgen machen? Oder was sollte das werden?
»Der Alte schreibt einen Liebesbrief auf Französisch an seine Geliebte doch nur, wenn sie die Sprache auch beherrscht. Vielleicht so gut wie Anna. Und das hat Schiller herausgefunden.« Er zog an seiner Zigarette wie Sherlock Holmes an der Pfeife. Kein Zweifel, Egon war ernsthaft einem Täter auf der Spur.
»Schiller wusste, dass eigentlich die Herzogin Goethes Geliebte war und die Stein nur eine Postbotin? Egon«, bat ich, »fang du nicht auch noch an mit dem Schmarren.«
Egon hörte gar nicht auf meinen Einwand. »Er hat es herausgefunden. Es wäre ein Skandal erster Güte geworden, wenn er das anderen erzählt hätte. Sie war eine ehrbare Witwe! Ich meine, heutzutage vögelt alles durcheinander, und es tun einem die Könige und Fürsten schon ein bisschen leid, die ein normales Eheleben führen. Aber damals? Ein Skandal, der hätte das Herzogtum bis ins Mark erschüttert. Das musste verhindert werden. Es gab nur eine Lösung. Wenn er es nicht selber war, hatte er eben seine Leute. Oder warum ist er nicht zu Schillers Begräbnis gekommen, he?«
»Goethe hatte von seiner Mutter eine panische Angst vor Toten und Begräbnissen geerbt. Er war nicht einmal bei Christiane dabei. Egon, was redest du da?«
»Dann erkläre mir, warum Schiller in der Fürstengruft nicht Schiller ist. Ich sage es dir: Er war es auch nicht im Kassegewölbe. Die hätten sämtliche Knochen von dort untersuchen lassen können und wären nie auf Schiller gestoßen. Wer weiß, wo der wirklich begraben wurde, um nicht zu sagen: verscharrt. Er hat ihn auf dem Gewissen.« Egon bekam wieder diesen Sherlock-Holmes-Blick. »Monate vor Schillers offiziellem Tod wurde er schon als verstorben gemeldet. Was meinst du, wessen Autorenschaft da zu vermuten steht? Ich sage dir: Da ist etwas faul!«
»Erinnerst du dich«, versuchte ich vorsichtig einen Einwand anzubringen, »dass Goethe sich sogar Schillers Schädel hat kommen lassen, um ihn zu vermessen? Wie soll er das, wenn er, wie du behauptest, Schiller an ganz anderer Stelle begraben weiß.«
»Das ist doch ganz einfach!« Egon schien mit mir als allzu skeptischem Watson langsam die Geduld zu verlieren. »Tarnung. Es gab Gerüchte. Die musste er zerstreuen. Da hatte er die Idee mit dem Vermessen des Schädels aus dem Kassegewölbe. Und dort gab es ja genug. Und keiner traute sich mehr laut zu sagen, was hinter vorgehaltener Hand überall erzählt wurde.«
Ich schenkte Kaffee nach und versuchte, das Thema zu wechseln. »Lass ihn ruhen, wo immer er ist. Wir verehren schließlich nicht den toten Dichter, sondern sein noch immer lebendiges Werk.«
»Wir gehen ins Schloss«, erklärte Egon.
Froh, dass nun auch er das Thema wechseln wollte, sagte ich: »Gute Idee. Hast du ein bestimmtes Ziel? Die Gemäldesammlung, die Prachträume oder einfach nur mal so? Was hältst du von morgen?«
»Jetzt. Sofort.« Egon stand auf. »Der
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