Möwennest-Reihe Gesamtband (German Edition)
und fragte dann wenig hoffnungsvoll: „Ich vermute, du hast die Sachen nicht griffbereit?“
Harry schüttelte den Kopf, was Van Taangen sehr missfiel.
„Dachte ich mir…“
Er verschränkte die Arme vor der Brust und ging innerlich die günstigsten Optionen durch. Es waren nicht viele und alle liefen letztendlich auf eines hinaus: Es würde gefährlich und unberechenbar werden, egal wie er es anstellte.
„Gut, wir machen folgendes“, entschied er schließlich und warf dabei einen kurzen Blick auf die Digitalarmbanduhr an seinem Handgelenk.
„Es ist jetzt genau drei Minuten nach zwölf. Ich gebe dir eine Stunde, um alles fertig zu stellen. Um dreizehn Uhr bist du wieder hier mit den Bauplänen. Du wirst mich über alle Einzelheiten informieren, die ich benötige. Und vor allem, Harry: Kein Wort zu niemandem! Hast du mich verstanden?“
Der Dicke schaute ihn einige Sekunden unschlüssig an, dann nickte er und sagte: „Äh, Baupläne, Sachen zusammenpacken, Klappe halten. Nun, ähm, ja.“
„Warum stehst du dann noch hier rum?“, zischte Sem.
Der dicke Touristenführer hastete durch den Sand davon. Sem sah ihm nach, bis er hinter der nächsten Düne verschwunden war, sammelte seine Sneakers und Socken zusammen und machte sich auf den Weg. Er war zufrieden. Romdahl hatte keinen Verdacht geschöpft. Noch war es allerdings zu früh, um zu jubilieren. Alles musste jetzt sehr schnell gehen. Der erste Schritt war getan, nun musste er den nächsten machen.
Der Steg war so einsturzgefährdet, dass nur der Zugang über das Meer blieb und dafür benötigte er ein Motorboot. Die Adresse eines Jachthafens hatte er sich gegeben lassen. Er lag nur circa einen halben Kilometer entfernt. Dort würde er problemlos und schnell ein Boot mieten können, ohne dass irgendjemand unangenehme Fragen stellte. Fragen waren gefährlich und kosteten Zeit. Zeit, die er nicht hatte. Er drehte sich herum und lief los.
***
„Herrje! Herrje! Herrje!“
Harry Romdahl lief über den Damm. Sein Herz raste. So lange hatte er mit diesem Augenblick gerechnet und dann hatte es ihn doch völlig überrascht. Die Jungs aus Rotterdam waren komplett verrückt. Seit über zehn Jahren jagten sie nun schon diesem verrückten Koch hinterher. Sklaaten hatte sie hintergangen, keine Frage, aber von der unangekündigten Prüfung seines Restaurants durch das Gesundheitsamt hatte weder er noch Stojic gewusst. Dass dabei eine frische Ladung von Stojics Kokain zwischen Milch, Mehl und feinem argentinischen Rumpsteak gefunden worden war, hätte unglücklicher nicht sein können. Allerdings hatte Sklaaten damals den Fehler gemacht und Stojics Zwischenhändler verraten, um damit selbst den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Tags darauf war der große blonde Sternekoch mit den irren Ideen spurlos verschwunden und mit ihm eine ganze Menge Geld, das er im Namen der Familie Stojic aufbewahrt hatte. Er hatte keine Spur hinterlassen, keine Indizien, nicht einen Anhaltspunkt.
Petr Stojic hatte getobt. Harry war damals dabei gewesen. Er erinnerte sich ganz genau an diesen Tag. Der Boss hatte geflucht und Dinge durch die Gegend geschmissen.
„Ich will, dass ihr diese Ratte findet“, hatte er gebrüllt. „Tot oder lebendig! Es muss zurückgebracht werden und ER muss dafür büßen, es gestohlen zu haben.“
Harry, der seit jeher nur ein kleiner Fisch im Haifischbecken gewesen war, war schließlich als Spitzel nach Westenschouwen geschickt worden. Zuvor waren Stojics Schergen in Sklaatens Haus in Middleburg und in Het Meeuwennest eingedrungen und hatten alles auseinandergenommen. Gefunden hatten sie nichts.
Harrys einzige Aufgabe bestand bis heute darin, die Augen offen zu halten und Meldung zu machen, sobald jemand Anstalten machte, das Restaurant zu betreten. Seit mehr als zehn Jahren lebte er hier unten in Zeeland; weitgehend beschäftigungslos. Ab und zu verdiente er sich als Touristenführer den einen oder anderen Euro dazu und erzählte dabei Schauermärchen über das verfluchte Gebäude vor der Küste. Es waren Schauermärchen, die mit der Zeit entstanden und jedes Jahr abstruser geworden waren.
Ari Sklaaten hatte er in all den Jahren nicht ein einziges Mal gesehen und das war ihm gar nicht so unrecht gewesen. Harry war ein stiller Beobachter, der jeden Tag einen kurzen Blick auf das verfallene Gebäude auf der Sandbank warf und danach den Tag vertrödelte. Er mochte sein Leben wie es war und hatte sich längst eine eigene Meinung zu
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