Mondberge - Ein Afrika-Thriller
Das galt genauso für seinen Freund mit dem Trikot einer deutschen Fußballmannschaft, der nicht von seiner Seite wich.
Er setzte das Messer mit der rechten Hand langsam an den Hals des Jungen. Er spürte ihn in seinem Griff zittern. Er entdeckte den Schweiß, der über seine Wange lief. Und er roch die Ausdünstungen, die Pisse, die Scheiße. Der kleine Schwächling hatte sich doch tatsächlich in die Hose geschissen. Paul ließ den Blick weiter über seine Soldaten wandern, bevor er mit einer schnellen Bewegung das Messer von links nach rechts zog. Die Haut bot keinen Widerstand. Die Luftröhre war sofort durchtrennt. Paul hatte das Messer am Morgen geschliffen. Er übernahm das immer selber, denn es verschaffte ihm die größte Vorfreude. Der Junge bäumte sich auf, ein Röcheln drang aus dem offenen Hals, seine Muskeln zogen sich krampfartig zusammen. Paul ließ den Jungen los, der mit schiefem Kopf zu Boden sank. Die ganze Zeit über ließ der General seine Soldaten nicht aus den Augen. Der Junge links war reif. Er hatte Tränen in den Augen, und auch auf seiner Hose zeichneten sich deutliche Spuren der Angst ab. Die anderen starrten weiterhin möglichst ungerührt nach vorn, auf ihn, den Einzigen, dem sie jederzeit zu gehorchen hatten. Der Körper auf dem Boden vor ihm zuckte – es war, als wollte der Junge in seinen letzten Atemzügen noch fliehen, doch das Blut, das sich im fahlen Licht des Waldes schnell über die schlammige Erde ergoss und sich mit dem Wasser der Pfützen vermischte, machte allen deutlich, dass er starb. Paul ging einen Schritt zur Seite, blickte den vor ihm liegenden Jungen an, trat mit dem Fuß nach ihm und spuckte aus. Der Speichel traf das verzerrte Gesicht und mischte sich sofort mit dem Blut.
»Ist hier noch jemand, der meinen Befehlen nicht folgen will?«
Der General fischte ein schmutziges Taschentuch aus der Hosentasche, wischte sein Messer damit ab, bevor er es entschlossen wieder zurück in die Scheide steckte und das blutige Tuch auf den Boden fallen ließ. »Gibt es einen unter euch, der freiwillig das Lager bewachen will?«
Mit ein paar Schritten war er bei dem ängstlichen Jungen. Jetzt fiel ihm wieder ein, wie er hieß: Mugiraneza. Er packte ihn am Kragen, schrie ihm ins Gesicht: »Willst du lieber das Lager bewachen oder wie ein richtiger Soldat für die Freiheit Ruandas kämpfen?«
Wieder dieser Geruch nach Urin. Paul verabscheute diese Kinder, die sich bei jeder Gelegenheit in die Hose pissten.
»Ich ... ich will kämpfen«, stammelte Mugiraneza, wobei er seinen Körper straffte. »Für die Freiheit Ruandas!«
Zufrieden ließ Paul ihn los. Er würde dennoch ein Augenmerk auf ihn haben. Heute sollte er die Gelegenheit bekommen, sich zu bewähren.
Er trat ein paar Schritte zurück, damit ihn alle sehen konnten.
»Badyoro liegt vier Stunden von hier entfernt im Norden. Wir werden die Befehle unseres Präsidenten Bernard exakt ausführen. Nur wenige Überlebende. Zwanzig sollten reichen.« Mit einer langsamen Drehung des Körpers musterte er die Runde. Sein Gesicht verzog sich zu einem höhnischen Lächeln. »Ein paar von den Kakerlaken sollen doch erzählen können, wie es einem Dorf ergeht, das nicht für seinen Schutz bezahlen will.«
Er lachte, schulterte sein Gewehr, stellte fünf Soldaten, denen er vertraute, zur Bewachung des Lagers ab, griff nach seiner Machete und marschierte los.
4
Entebbe, früher Abend des 9. Juni
Der Ruwenzori. Das gewaltigste Gebirge Afrikas. Überbordend grün, regendurchtränkt, geheimnisumwoben. Auf einer Länge von 120 Kilometern und einer Breite von 50 Kilometern hat sich der Ruwenzori aus den Tiefen der Erde gehoben. Hier, mitten in Ostafrika, vermutet man die Wiege der Menschheit. Der höchste Gipfel, exakt auf der Grenze zwischen der Demokratischen Republik Kongo – dem ehemaligen Zaire – und der Republik Uganda, befindet sich die Margherita-Spitze mit 5.109 Metern Höhe. Nur die beiden Vulkane Mount Kenya und der Kilimandscharo in Tansania ragen höher aus der afrikanischen Landschaft auf.
1888 wurde der Ruwenzori von dem amerikanischen Journalisten und Abenteurer Henry Morton Stanley zufällig für die westliche Welt entdeckt, nachdem in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts der Missionar David Livingstone, der Großwildjäger Samuel White Baker und der Offizier John Hanning Speke auf der Suche nach den Nilquellen am Ruwenzori vorbeigeirrt waren. Was zunächst gegen die Zurechnungsfähigkeit westlicher
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