Mondberge - Ein Afrika-Thriller
einer großen Sonnenbrille am Tisch des bis auf den Boden verglasten Raumes und sah ihm erwartungsvoll entgegen. Er jedoch vermied jede Eile und folgte mit seinen Blicken den Fugen der Bodenfliesen, während er an den beiden Wachleuten vorbeiging, die die Besucher und Gefangenen genau beobachteten.
Die junge Frau hob sachte ihre Hand, als befürchte sie, er habe sie noch nicht entdeckt. Dabei sollte sie mittlerweile wissen, dass ihm niemals etwas entging, dachte Bernard. Er tat, als freue er sich, als habe er sie gerade erst zwischen all den anderen Besuchern und Häftlingen ausgemacht. Diese Deutschen hatte er bisher noch alle um den Finger gewickelt. Mit geschmeidigen Schritten bewegte er sich auf den Raum zu, zog die Glastür hinter sich zu, schob den leeren Stuhl mit einem leisen Quietschen nach hinten und nahm Platz. Sofort ergriff er ihre Hände. Sie trug eine blonde Langhaarperücke und ein mehrfach um den Hals geschlungenes buntes Tuch. Sie übertrieb es wieder einmal mit der Vorsicht.
»Die Reise ist gebucht. Jetzt gibt es kein Zurück mehr.«
Sie sprach mit gedämpfter Stimme, selbst Bernard konnte sie kaum verstehen. Die Nachbarn in den angrenzenden Räumen dürften nicht mitbekommen haben, dass sie überhaupt etwas gesagt hatte.
»Hast du gehört? Die Reise steht. Am 9. Juni fliege ich nach Uganda.«
Ja, jetzt konnte das Unternehmen beginnen. Aber anders, als du es erwartest, dachte er. Noch war es zu früh, das auszusprechen.
»Sehr gut«, antwortete er laut und drückte zur Bestätigung ihre weißen Hände. Ihre Finger stachen leuchtend zwischen seinen schwarzen Händen hervor. Das würde er vermissen, wenn er erst wieder zurück in seiner Heimat war. Bald! Doch auch dort warteten Hände auf ihn, die ihn endlich wieder so verwöhnen konnten, wie er es sich wünschte. Dort war er der Präsident. Hier war er ein Gefangener, angeklagt wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Wie absurd. Er schnaubte unwillkürlich. Die Deutschen hatten ja keine Ahnung, was in Afrika los war. Sie schufen Gesetze und versuchten, über ihn zu richten. Dabei hatten die deutschen Gerichte weder das Recht, über seine Arbeit zu urteilen, noch konnten sie klare Beweise gegen ihn vorbringen. Die ersten Zeugen hatten ihre Aussagen schon zurückgezogen. Sobald er die Namen der anderen erfuhr – dabei konnte es sich nur noch um Tage handeln –, würden seine Milizen schon dafür sorgen, dass sie sich dem Beispiel der anderen anschlossen. Bernard zog die Fäden des Geschehens. Er herrschte weiter über seine Armee, ohne dass irgendjemand in Deutschland etwas davon ahnte.
»Wie soll es jetzt weitergehen?«, wollte seine Verlobte wissen.
»Ganz wie geplant«, gab Bernard zurück. »Es gibt keinen Grund, von unserem Vorhaben abzuweichen.«
Sie nickte. »Wann kommst du nach?«
»Sobald ich hier raus bin, fliege ich nach Uganda. Das ist am sichersten.«
Noch einmal drückte er ihre Hände, beugte sich zu einem Kuss nach vorn, berührte sanft ihre Lippen und erhob sich.
»Musst du schon gehen?« Nur zögernd löste sie sich ebenfalls von ihrem Stuhl.
»Wir sehen uns kommende Woche, dann erfährst du letzte Einzelheiten.«
Er nickte ihr zu, ließ den Blick durch den Flur schweifen, doch niemand schenkte ihnen auch nur eine Sekunde Aufmerksamkeit. Bernard war zufrieden mit sich, sehr zufrieden. Mit zügigen Schritten ging er durch die Tür und eilte dann den langen Gang hinunter, bog um zwei Ecken, stieg die Metalltreppe hoch, ging an den offenen Türen entlang bis zu seiner Zelle. Diese Deutschen waren einfach zu naiv. Sie glaubten tatsächlich, sie könnten sich mit Bernard Kayibanda anlegen. Doch da hatten sie sich getäuscht. Eine gespielte Unterwürfigkeit hatte er sich schon vor Jahren angeeignet, und sie half ihm ausgezeichnet dabei, seine Ziele durchzusetzen.
Das Mobiltelefon lieh er sich auf dem Rückweg in seine Zelle bei einem Mitgefangenen für die üblichen zehn Euro. Bernard hatte sich von seinem Anwalt eine Hardcover-Ausgabe des deutschen Strafgesetzbuches bringen lassen und in den Einband eine kleine Vertiefung eingearbeitet. Das Versteck für seine SIM-Karte. Dreimal hatten die Beamten seine Zelle schon gefilzt, ohne sie zu finden. Er legte die Karte mit geübtem Griff in das Handy und gab seine PIN ein.
Die Telefonnummer kannte er auswendig. Natürlich löschte er den Speicher nach jedem Gespräch. Wieder einmal dauerte der Verbindungsaufbau viel zu lange. Das Freizeichen drang in nicht enden wollenden
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