Mondberge - Ein Afrika-Thriller
Prolog
Im dichten Nebel, kurz hinter dem Scott-Eliott-Pass, verlor Tom den Kontakt zur Gruppe.
Senezien und Lobelien, die urwüchsigen Pflanzen dieser afrikanischen Region in über 4.000 Metern Höhe, ragten wie Palmen an beiden Seiten des Weges hoch über ihn in den ugandischen Himmel. Eine dünne Schneeschicht bedeckte den rutschigen Schotter. Leise fielen Schneeflocken auf ihn herab. Angespannt blickte Tom auf den Pfad vor seinen Füßen, konzentrierte sich auf jeden Schritt. Schnee. In Uganda. Für einen Moment fühlte er sich unendlich einsam in diesen Bergen an der Grenze zum Kongo.
Plötzlich waren sie da. Rechts und links des Weges standen Männer in Uniformen, grinsten, sagten jedoch nichts. Schwarze Gesichter, weiße Augen, bleiche Zähne. Gewehre lässig über die Schultern gehängt. An den ersten ging Tom vorbei, ohne sie richtig zu registrieren; seine Wahrnehmung war betäubt von den Strapazen der letzten Tage. Die anstrengende Passüberquerung und der kalte Regen, immerwährender Nebel und der geringe Sauerstoffgehalt in der Luft hatten ihn abstumpfen lassen.
Das war kein freundlicher Empfang von Einheimischen. Dies war ein paramilitärischer Übergriff. Erinnerungen an die geisterhaften Erscheinungen der letzten Tage überschwemmten sein Gehirn. Wie viel von dem, was er gerade sah, war real? War er überhaupt noch bei Verstand?
Vor ihm mussten seine Mitstreiter sein. Irgendwo im undurchdringlichen Nebel. Tom ermahnte sich, schneller zu gehen. Seine Füße rutschten immer wieder weg, aber er wollte nicht länger allein zwischen diesen unheimlichen Gestalten sein. Er zwang sich, die Situation zu erfassen. Hatten sie sich verlaufen? Waren sie unbemerkt in den Kongo geraten? Nein, die Grenze war noch mindestens zwei Kilometer entfernt. Und der über 4.800 Meter hohe Bergrücken des Mount Stanley lag dazwischen. Vorausgesetzt, seine Karte war richtig.
Die Bewaffneten verharrten weiterhin regungslos am Wegrand. Wenn Tom noch auf ugandischem Gebiet war, dann mussten diese Soldaten aus dem Kongo herübergekommen sein. Dabei sahen sie nicht einmal wie richtige Soldaten aus. Eher wie schwer bewaffnete Guerilla-Kämpfer.
Er hätte sich dieser Reisegruppe nicht anschließen dürfen.
Als die anderen sich vor ihm im Nebel abzeichneten, atmete er auf. Andrea stand kerzengerade und schaute ihn aus müden Augen an. Peter kam ihm ein paar Schritte entgegen.
»Sie sagen, wir sind entführt«, raunte der Guide.
Dann fielen die ersten Schüsse.
Teil 1
1
Hamburg-Fuhlsbüttel, 4. März
Bedächtig betrat Bernard Kayibanda den Flur zu den Besucherräumen der Justizvollzugsanstalt Hamburg-Fuhlsbüttel. Mit wachen Augen verschaffte sich der große Mann einen schnellen Überblick über die verglasten Räume, an deren Tischen die anderen Gefangenen und ihre Besucher saßen. Wie immer hatte er um den abgelegenen Raum am Ende des Flurs gebeten.
Durch seine dunkle, beinahe schwarze Hautfarbe hob er sich von den restlichen Insassen deutlich ab. Im Gegensatz zu ihm wechselten sie für die Besuchszeiten meist noch nicht einmal den Trainingsanzug. Sie saßen unrasiert und in den typischen blauen Plastiklatschen ihrem meist weiblichen Besuch gegenüber, ließen sich beschimpfen oder mit dem neuesten Klatsch aus der Familie versorgen.
Bernards Äußeres war wie jeden Tag tadellos und wirkte sorgfältig ausgewählt: Er trug einen dunkelblauen Anzug, durch den seine schlanke Gestalt besonders zur Geltung kam, darunter das gestärkte weiße Hemd, die Falten der Hose akkurat und scharf geschnitten. Nur eine Krawatte durfte er zu seinem Bedauern nicht tragen, da die Gefängnisleitung befürchtete, er könnte sich das Leben nehmen. Diese Idioten. Seine schwarzen Schuhe glänzten von der Schuhcreme, die er noch vor zehn Minuten mit geübtem Schwung auf das feine Leder aufgetragen hatte.
Bernard war anders als seine Mitgefangenen. Vollkommen anders. Das lag natürlich an seinen afrikanischen Wurzeln. In der Kindheit und Jugend hatte er sich durch den militärischen Drill ruandischer Privatschulen prügeln lassen. Die hatten nichts von dem verweichlichten Gehabe europäischer Prestige-Internate. Kein lockerer Knopf, keine Falte im Hemd war seinen Lehrern entgangen. Schläge hatten ihn hart werden lassen. Wenn er nun im deutschen Gefängnis an seine frühen Jahre in Ruanda zurückdachte, spürte er noch immer den beißenden Schmerz der Züchtigungen auf seinen feingliedrigen Handrücken.
Er war verabredet. Seine Verlobte saß mit
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