Mondmilchgubel Kriminalroman
ihm vorlehnt, sodass ihr großer Busen auf dem Tisch aufliegt. Wie gebannt starrt er auf ihre Brüste, die sich beim Sprechen heben und senken.
»Iris wollte es allen recht machen. Sie war geduldig und sanft. Manchmal wirkte sie ein bisschen unschlüssig und verträumt.«
Jung bietet ihm ein Glas Wasser an, doch er will nicht, dass sie aufsteht.
»Durch Iris kam ich mir selbst näher. Wahrscheinlich ist es ihr ähnlich ergangen. Natürlich gab es auch Gemeinsamkeiten. Sie las viel, liebte gute Gedichte, genau wie ich. Ich kann mich noch gut an das letzte Gedicht erinnern, das sie mir vorgelesen hat. Sagt Ihnen der Name Meerbaum-Eisinger etwas?«
Er schüttelt den Kopf.
»Selma Meerbaum war auch ein Opfer. Iris wollte leben, lachen und frei sein, genau wie Meerbaum«, fährt Jung nachdenklich fort. »Doch kämpfen, das wollte Iris nicht, und zum Hassen hätte ihre Kraft nicht ausgereicht. Manchmal kam es mir so vor, als stünde sie nur mit einem Fuß im Leben.«
»Es tut mir leid, Sie mit meinen Fragen quälen zu müssen. Hier, nehmen Sie.« Er streckt Jung ein Kleenex entgegen.
»Warum erkennt man das Glück erst, wenn es vorbei ist?«, fragt sie traurig, nachdem sie sich wieder gefasst hat. »Ich werde sie schmerzlich vermissen. Iris war so unverdorben.«
Er versteht nicht, wie man eine 45-jährige Frau unverdorben nennen kann.
»Seit ich hier wohne, war Iris meine beste Kritikerin. Außerdem war sie unbestechlich. Sie sah erbarmungslos durch die Menschen hindurch. Sie brauchte mich bloß anzuschauen, um zu wissen, wie es um mich stand. Wir sind oft wandern gegangen. Stellen Sie sich vor, sogar schweigen konnten wir zusammen. Und das will bei Frauen etwas heißen.«
Er kann eine derart innige Beziehung nicht nachvollziehen. Natürlich hat auch er ein paar Arbeitskollegen. Doch persönliche Dinge bespricht er ausschließlich mit seiner Frau. Er fragt sich, ob die beiden Frauen nicht doch lesbisch gewesen sind.
»Wir sind übrigens beide in Zürich aufgewachsen und zur Schule gegangen«, hört er Jung fortfahren.
»Kannten Sie sich von früher?«
»Nein, wir sind uns hier in Wald bei einer Lesung zum ersten Mal begegnet.«
Er steht auf. »Danke, das ist für den Moment alles. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir Ihre Handynummer geben würden.«
Jung reicht ihm eine Visitenkarte.
»Danke. Der Kriminalpolizist, der die Ermittlungen führt, wird sich mit Ihnen in Verbindung setzen. Wahrscheinlich noch heute Abend. Es wäre uns sehr gedient, wenn Sie in den nächsten Tagen nicht verreisen würden.« Er reicht ihr seine Visitenkarte. »Zögern Sie nicht, mich anzurufen, wenn Ihnen noch etwas Wichtiges einfällt.«
Kapitel 3
Kari Honegger war eine Frühgeburt mit Komplikationen. Weil sich die Geburt über so viele Stunden hinzog, hatte seine Mutter kaum mehr genügend Kraft zum Pressen. Schließlich wurde das winzige, untergewichtige Bübchen mit Hilfe einer Geburtszange herausgezogen.
Es ist Tradition in der Honegger-Familie, Hühner zu halten und die Eier an die Nachbarschaft zu verkaufen, um sich ein bisschen was dazuzuverdienen. Dieser Brauch hat sich von der Urgroßmutter auf die Großmutter, und von der Großmutter auf Karis Mutter weitervererbt. Heute ist es Kari, der die Tradition eifrig weiterführt. Mit Hühnern und Eiern kennt er sich seit seiner Kindheit aus. Und im Gegensatz zu seiner verstorbenen Mutter baut er sein Eiergeschäft laufend aus. Mit Hilfe seines Onkels hat er die Holzställe unterhalb des Hauses am Hang erweitert. Unterdessen hat er eine stattliche Anzahl Hühner, die fleißig Eier legen. Kari ist stolz auf sein florierendes Geschäft. Sein Vater ist stolz auf seinen Sohn. Jeder in der Gemeinde kennt den stämmigen Burschen mit den wachsamen Augen, der Stupsnase und dem Bürstenschnitt.
Es behagt Kari, wenn alles in geordneten Bahnen abläuft. Noch vor dem Frühstück geht er hinunter zu den Ställen, um die Tröge zu reinigen und sie mit Futter aufzufüllen. Dann lässt er seine Hühner hinaus und schaut ihnen zu, wie sie sich gackernd auf das Futter stürzen. Seine Tiere sind zutraulich, aber nur zu ihm. Einige davon sind sogar so zahm, dass er sie auf den Arm nehmen und streicheln kann. Die alten Hühner, die kaum mehr Eier legen, mästet er in einem separaten Stall zu Suppenhühnern.
Nach dem Frühstück geht er auf Eiertour. Auf dem Gepäckträger seines schwarzen Mofas, Marke Sachs Tornado, hat der Spengler Seppi ihm eine spezielle Vorrichtung
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