Monty Vampir
aufgeklappt und der alte Vampir lag mit offenen Augen darin. Aber das musste nichts bedeuten. Montys Großvater war seit dreihundert Jahren achtundachzig und er vergaß oft, seinen Sarg zuzumachen, und außerdem vergaß er manchmal, seine Augen zuschließen. Früher hatte sich Monty davor gegruselt, seinen Opa zu besuchen, aber im Lauf der Jahrzehnte gewöhnte er sich an den seltsamen Anblick.
Ein bisschen beneidete er Graf Aurelius auch. Mit offenen Augen zu schlafen, war echt cool . Das Wort cool hatte Moreno mit in die Familie gebracht. Er hatte es irgendwo im Chat aufgeschnappt und Monty gefiel es. Cool klang ziemlich vampirisch. Denn jeder Vampir hatte eiskalte Hände und Füße und besonders kalte Ohren.
Monty warf einen Blick auf die Fledermaus, die sich an seinen Großvater kuschelte. Dieses Flattertier war eigentlich seine Großmutter. Früher einmal war sie eine talentierte Gestaltwandlerin gewesen; doch auch sie war im Lauf der Jahrhunderte vergesslich geworden. Eines Nachts hatte sie leider den Umkehrzauber vergessen und seitdem lebte sie in Tiergestalt. Aber das schien sie nicht sonderlich zu stören und Graf Aurelius besaß ein großes Herz und liebte sie auch als Fledermaus.
»Monty Vampir!«, hörte er plötzlich eine krächzende Stimme rufen. »Monty, komm sofort her!«
Seine Mutter! Sie klang seltsam, vor allem aber klang sie ärgerlich. Monty beeilte sich, zu seinen Eltern zurückzufliegen.Seine Mutter, die übrigens Jolande hieß und seit zweihundert Jahren siebenunddreißig Jahre alt war, schwankte auf ihn zu.
»Warum hast du uns nicht geweckt?« Sie sah sehr blass aus und ihre Haare standen ihr noch mehr vom Kopf ab als sonst.
Auch Montys Vater schaffte es jetzt, den Deckel aufzustoßen.
Umständlich kam er aus seinem Sarg gekrabbelt.
»So ein Modder!«, fluchte er. »Wir haben in der letzten Nacht einen Säufer erwischt!« Er rieb sichverzweifelt den Kopf. »Ausgerechnet jetzt muss das passieren.«
Allmählich begriff Monty, was los war: Seine Eltern hatten sich versehentlich vom Blut eines Betrunkenen ernährt und jetzt ging es ihnen gar nicht gut.
Monty vermied es, schadenfroh zu grinsen. Boshaft zu spotten, gehörte eigentlich zum gewünschten Vampirbenehmen – allerdings nicht, wenn die eigenen Eltern von so einem dummen Missgeschick betroffen waren.
»Ich hätte wohl doch besser an dem Vampirsaugschutzfilter weiterarbeiten sollen«, murmelte sein Vater Dorian, der seit zweihundert Jahren neununddreißig und außerdem Erfinder war.
Zuletzt hatte er einen Mantel entwickelt, der ganz von allein fliegen konnte. Kaum präsentierte er ihn jedoch seiner Familie,flatterte der Mantel auch schon aus dem Fenster und kehrte leider nie zurück.
»Es hilft alles nichts, Monty«, sagte Dorian. »Du kannst nicht bis zur nächsten Mondfinsternis warten.«
»Du musst allein losfliegen und dir dein erstes Opfer suchen«, ergänzte Jolande. Sie sah wirklich schrecklich betrübt aus. Normalerweise begleiten Vampireltern ihr Kind, wenn es zu seinem ersten Biss aufbricht. Schon bei der Wahl des Opfers kann so einiges schiefgehen.
Aber Monty war eigentlich ganz froh. So musste er sich nicht irgendeinen Menschen aufschwatzen lassen, nur weil seine Eltern ihn toll fanden.
»Mach dir keine Sorgen, Mama«, sagte er. »Ich schaff das schon!«
Und damit sauste er auch schon durch eines der kaputten Fenster aus der Fabrik.
Hinaus! Hinaus in die Nacht! Der Wind zischte ihm um die Ohren. Der dicke runde Mond begrüßte ihn wie ein alter Bekannter.
»Hast du dir auch deine Zähne schön geschliffen?«, rief seine Mutter ihm nach. Er drehte sich um, nickte und winkte seinenEltern zu, die am Fenster standen und ihm hinterherblickten.
»Keine Angst, Monty!«, rief sein Vater. »Du bist ein Vampir, vergiss das nicht!«
Monty grinste ein bisschen über die alberne Bemerkung, während er in schnellem Tempo weiterflog. Wie sollte er das vergessen?
Die Nacht der Mondfinsternis
Monty flog über die Häuser der Stadt. Ihm war etwas mulmig zumute. Die Mondfinsternis hatte bereits begonnen und bis Mitternacht war nur noch eine Stunde Zeit. Welches Ziel sollte er ansteuern?
Ratlos zog er Kreise über einem Neubauviertel. Hier gab es besonders viele Menschen. Sie lebten sozusagen übereinandergestapelt in ihren Wohnkästen. Meist hingen nicht einmal Gardinen vor den Fenstern. Monty hatte also freie Auswahl.
Er sauste von Scheibe zu Scheibe, drückte sein Gesicht gegen das Glas und spähteaufmerksam in die
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