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MoR 01 - Die Macht und die Liebe

MoR 01 - Die Macht und die Liebe

Titel: MoR 01 - Die Macht und die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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den römischen Legionen bestehen konnte.
    Bomilkar floh sofort nach seiner Entlassung nach Puteoli, bestieg ein Schiff nach Africa und entkam ungeschoren. Daraufhin beschloß der Senat, auch Jugurtha ziehen zu lassen. Er erhielt seine fünfzig Geiseln zurück, nicht jedoch das Geld. Verlasse Rom, verlasse Italien, laß uns in Ruhe.
    Der König von Numidien trieb sein Pferd den steilen, Janiculum genannten Hügel hinauf und warf einen letzten Blick auf die Stadt. Da lag sie, in Wellen ausgebreitet über sieben Hügel und die dazwischen liegenden Täler, ein Meer von orangeroten Dachziegeln und bunt bemalten Mörtelwänden. Die vergoldeten Ziergiebel der Tempel funkelten und warfen das Sonnenlicht gebündelt zum Himmel zurück - kleine Straßen für die Götter. Eine lebendige und farbenfrohe Stadt aus Terrakotta, durchsetzt mit grünen Bäumen und Grasflächen.
    Doch Jugurtha hatte kein Auge für die Farbenpracht. Lange blickte er auf die Stadt. Er war sicher, daß er Rom niemals wiedersehen würde.
    »Du wohlfeile Stadt«, sagte er, »wenn sich ein Käufer findet, bist du verloren!« Er wendete sein Pferd und ritt der Via Ostiensis zu.

    Clitumna hatte einen Neffen, der als Sohn ihrer Schwester nicht den Familiennamen Clitumnus trug, sondern Lucius Gavius Stichus hieß. Sulla folgerte aus diesem Namen, daß einer der Vorfahren dieses Lucius ein Sklave gewesen war, denn woher sonst konnte der Spitzname Stichus stammen? Doch Lucius Gavius Stichus beharrte darauf, seine Familie sei durch den Sklavenhandel zu diesem Namen gekommen. Wie sein Vater und sein Großvater verdiente auch Lucius Gavius Stichus sein Geld mit dem Sklavenhandel: Er hatte eine kleine Agentur für Hausdiener im Porticus Metelli auf dem Campus Martius.
    Eigenartig, dachte Sulla, als der Verwalter ihm mitteilte, der Neffe der Herrin warte im Arbeitszimmer, eigenartig, wie viele Männer mit dem Namen Gavius ich kenne. Da war einmal der Saufkumpan seines Vaters, Marcus Gavius Brocchus, sodann sein guter alter grammaticus Quintus Gavius Myrto. Gavius. Es war kein sonderlich häufiger Familienname und auch kein besonders angesehener, und doch kannte er drei dieses Namens.
    An den Saufkumpan seines Vaters und den Gavius, dem er eine nicht unbeträchtliche Bildung verdankte, dachte er gerne. Stichus war ein anderer Fall. Einen Augenblick lang blieb Sulla im Atrium stehen und kämpfte mit sich, was er jetzt tun sollte - das Haus verlassen oder sich in einen Raum zurückziehen, in den Stichus seine Nase nicht stecken würde.
    Der Garten. Sulla lächelte dem Verwalter zu, dankbar, daß er ihn gewarnt hatte. Er umging das Arbeitszimmer und begab sich in das Peristyl, wo er sich auf einer Bank niederließ. Versonnen starrte er die kitschige Statue des Apollo an, der die Nymphe Daphne verfolgte. Clitumna liebte die Statue, sie hatte sie selbst gekauft. Aber hatte der Herr des Lichts wirklich so schreiend gelbe Haare, so ekelhaft blaue Augen oder eine so süßlich-rosige Haut? Und wie konnte jemand einen Bildhauer bewundern, der jegliche Kriterien des Geschmacks so gänzlich verleugnete? Der unbekannte Künstler hatte aus den Fingern der Nymphe, die sich gerade in einen Lorbeerbaum verwandelte, hellgrüne Zweige gemacht und aus ihren Zehen schmutzigbraune Wurzeln. Er hatte sogar, Gipfel der Geschmacklosigkeit, auf der einen noch menschlichen Brust der armseligen Kreatur einen purpurroten Tropfen angebracht, der aus einer knorrigen Brustwarze quoll! Sulla konnte dieses Machwerk nur blinden Auges anstarren, denn jede Faser seines Körpers drängte danach, zur Axt zu greifen.
    »Was habe ich hier eigentlich noch zu suchen?« fragte er Daphne. Nicht einmal erschrocken sah sie aus, einfach nur lächerlich.
    Daphne gab keine Antwort.
    »Was habe ich hier zu suchen?« fragte er Apollo.
    Doch auch Apollo antwortete nicht.
    Sulla hob die Hand, preßte die Finger gegen die Stirn und schloß die Augen. Er versuchte, sich selbst zu disziplinieren - was er brauchte, war nicht Ergebenheit in sein Schicksal, eher eine Art grimmiger Duldsamkeit. Gavius. An einen anderen Gavius denken, nicht an diesen Stichus. Sulla dachte an Quintus Gavius Myrto, der ihn zu einem gebildeten Menschen gemacht hatte.

    Sie hatten sich kurz nach Sullas siebtem Geburtstag kennengelernt. Der magere, aber kräftige kleine Sulla hatte versucht, seinen betrunkenen Vater nach Hause zu bringen, mit dem er damals ein einziges Zimmer am Vicus Sandalarius bewohnte. Der Vater brach auf der Straße zusammen, und

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