MoR 01 - Die Macht und die Liebe
Unsterblichen wurde die Sterbliche. Julillas Gesicht zuckte, aber sie unterdrückte den Drang zu weinen und starrte Sulla nur verwirrt an. Sie konnte seinen Gesichtsausdruck und seine Worte nicht mit ihren tiefsten Herzensinstinkten in Einklang bringen, die ihr sagten, daß sie ihn eingefangen hatte.
»Ich liebe dich!« sagte sie, als ob damit alles erklärt sei.
Er lachte wieder. »Fünfzehn! Was weißt du schon von Liebe?«
»Ich bin sechzehn!« erwiderte sie.
»Jetzt hör mir mal zu, Kleine«, sagte Sulla schneidend. »Laß mich in Ruhe! Deine Reden sind mir nicht nur lästig, sondern langsam auch peinlich.« Er wandte sich um und ging weg.
Julilla brach nicht in Tränen aus. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn sie in Tränen ausgebrochen wäre. So aber ging sie zu ihrer Sklavin, die so tat, als genieße sie die Aussicht auf den menschenleeren Circus Maximus.
»Früher oder später kriege ich ihn, Chryseis.«
»Ich glaube nicht, daß er dich will«, sagte Chryseis.
»Natürlich will er mich! « rief Julilla. »Und wie er mich will! «
Chryseis wußte aus langjähriger Erfahrung mit Julilla, wann es besser war, den Mund zu halten. Sie widersprach nicht, sondern seufzte nur und zuckte mit den Schultern. »Mach, was du willst.«
»Das tue ich sowieso.«
Schweigend machten sich die beiden Mädchen auf den Rückweg. Als sie den großen Tempel der Magna Mater erreicht hatten, brach Julilla das Schweigen. Ihre Stimme klang entschlossen.
»Von jetzt an werde ich nichts mehr essen«, sagte sie.
Chryseis blieb erschrocken stehen. »Und was willst du damit erreichen?«
»Im Januar hat er gesagt, daß ich dick bin. Und er hat recht.«
»Julilla, du bist nicht dick!«
»Doch. Deshalb habe ich seit Januar keine Süßigkeiten mehr gegessen. Jetzt bin ich ein wenig schlanker, aber noch nicht schlank genug. Er mag schlanke Frauen. Schau dir nur Nikopolis an. Ihre Arme sind dünn wie Strohhalme.«
»Aber sie ist alt!« rief Chryseis. »Was dir steht, würde an ihr furchtbar aussehen. Außerdem werden sich deine Eltern Sorgen machen, wenn du nichts mehr ißt - sie werden glauben, daß du krank bist! «
»Sollen sie«, sagte Julilla. »Wenn sie glauben, daß ich krank bin, glaubt Lucius Cornelius das auch. Und dann wird er sich furchtbare Sorgen um mich machen.«
Vier Tage nach Sullas Rückkehr erkrankte Lucius Gavius Stichus in Clitumnas Haus an einer Verdauungsstörung und mußte das Bett hüten. Besorgt ließ Clitumna ein halbes Dutzend der angesehensten Ärzte des Viertels kommen, die übereinstimmend Lebensmittelvergiftung diagnostizierten.
»Aber er hat nichts anderes gegessen als wir anderen!« wandte Clitumna ein. »Er ißt sogar viel weniger.«
»Ah, domina , da irrst du dich aber«, lispelte der Arzt Athenodorus Siculus, ein Grieche aus Sizilien, der sich neugierig im ganzen Haus umgesehen hatte. »Du weißt doch bestimmt, daß Lucius Gavius im Arbeitszimmer einen halben Süßwarenladen aufbewahrt?«
»Unfug!« rief Clitumna. »Einen halben Süßwarenladen? Ein paar Feigen und etwas Gebäck, das ist alles.«
Die sechs Ärzte sahen einander an. » Domina , er ißt diese Süßigkeiten den ganzen Tag und die halbe Nacht, das haben mir deine Diener erzählt«, sagte Athenodorus. »Ich rate dir: Nimm ihm die Süßigkeiten weg. Dann wird sich nicht nur die Magenverstimmung bessern, sondern sein ganzer Gesundheitszustand.«
Lucius Gavius Stichus lag leichenblaß daneben, vom heftigen Durchfall so geschwächt, daß er sich nicht verteidigen konnte. Unruhig wanderten seine hervorstehenden Augen von einem Sprecher zum anderen.
»Er hat überall Pickel, und seine Haut hat eine schlechte Farbe«, sagte ein anderer griechischer Arzt, der aus Athen stammte. »Treibt er Sport?«
»Er braucht keinen Sport«, sagte Clitumna. Zum ersten Mal lag ein leicht zweifelnder Ton in ihrer Stimme. »Er ist geschäftlich dauernd unterwegs und reist von Ort zu Ort. Das hält ihn auf Trab, glaube mir!«
»Was hast du für einen Beruf, Lucius Gavius?« fragte ein spanischer Arzt.
»Ich bin Sklavenhändler«, sagte Stichus.
Außer Publius Popillius, einem Römer, waren alle anwesenden Ärzte als Sklaven nach Rom gekommen, und die Ablehnung in ihren Blicken war deutlich zu sehen. Sie erklärten die Untersuchung für beendet und zogen sich zurück.
»Wenn er nach Süßigkeiten verlangt, soll er Wein mit Honig trinken«, sagte Publius Popillius. »Ein oder zwei Tage lang darf er keine feste Nahrung zu sich nehmen. Wenn er
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