Morbus Dei: Die Ankunft: Roman (German Edition)
Vergangenheit endgültig auszulöschen.
„Großvater! Wir müssen ihn holen!“, schrie Elisabeth und stürmte los.
„Elisabeth, bleib hier!“ Johann rannte hinter ihr her, wurde aber nach wenigen Schritten von einem Ausgestoßenen angefallen und zu Boden geworfen. Johann sprang auf, schlug seinem Gegner die Faust auf die Kehle, zog seine Axt und streckte einen anderen mit einem schnellen Hieb nieder. Der Vorgang hatte nur wenige Augenblicke gedauert.
Wo war Elisabeth? Johann bemühte sich, im Chaos des Gemetzels etwas zu erkennen, aber dichter Rauch verringerte die Sicht.
„Elisabeth!“ Seine Stimme verlor sich in den Todesschreien, die von überallher zu kommen schienen.
Johann zog sein Messer.
Elisabeth hatte das Haus ihres Großvaters erreicht. Sie wollte gerade die Tür öffnen, als sie von hinten gepackt und herumgerissen wurde. Eine vermummte Gestalt stand vor ihr und hob eine zugespitzte Haue. Elisabeth duckte sich, die Haue fuhr in die Tür und blieb stecken. Der Angreifer zog wütend daran, Elisabeth nutzte die Gelegenheit, hob einen Holzscheit vom Boden auf und zog ihn dem Ausgestoßenen über den Kopf.
Er fiel schwer zu Boden und rührte sich nicht mehr.
Elisabeth riss die Tür auf und stürmte durch die Labe in die Stube. Die Tür zur Stube war aus den Angeln gerissen, Elisabeth erstarrte, als sie das Bild der Verwüstung vor sich sah: Stühle und Tische waren umgeworfen, die Holzvertäfelung eingeschlagen. Am Boden lag das große Kruzifix, das jahrhundertelang vom Herrgottswinkel aus über die Stube gewacht hatte. Jetzt war es in zwei Hälften geschlagen, der Corpus des Heilands zersplittert, das Holz mit feinen roten Tropfen übersäht.
Blut.
Elisabeth sah erst jetzt die Gestalt in der Ecke liegen, seltsam verkrümmt, leblos. Sie ging zitternd zu der Gestalt und kniete sich hin.
Nicht!
Sie berührte vorsichtig den Kopf –
Bitte nicht!
– drehte ihn zu sich, dann schrie sie auf.
Das fahle Gesicht ihres Großvaters starrte sie an.
Elisabeth schluchzte verzweifelt, sie wurde von einem alles erdrückenden Gefühl des Verlustes übermannt, der ihr das Herz zerriss. Nicht er, der ihr mehr Vater gewesen war als ihr leiblicher.
Oh Gott, warum er?
Elisabeth begann bitterlich zu weinen.
So viel, das sie noch zu sagen hatte. So wenig, das ihr nun blieb. So tief, dass ein unaussprechlicher Hass in ihr aufkeimte. Gegen
sie
.
Ein kalter Luftzug streifte ihren Nacken, als ob sich die Stubentür geöffnet hätte.
Schritte.
„Elisabeth …“ sprach eine dunkle und doch schrecklich vertraute Stimme, die sich tief in ihr Innerstes bohrte.
Ein Schatten fiel auf sie, hüllte sie und die Leiche ihres Großvaters ein.
XLII
Die Hölle hatte Johann List schließlich doch noch eingeholt.
So kam es ihm zumindest vor. Dies glich keinem der Schlachtfelder, auf denen er gekämpft hatte, dies glich dem gnadenlosen Abschlachten von Vieh. Die Ausgestoßenen übten ihre Art von Gerechtigkeit aus und machten keinen Unterschied. Greis, Weib, Kind – es gab kein Entrinnen. Diejenigen, die noch laufen konnten, fielen. Diejenigen, die noch lebten, starben. Zukunft und Vergangenheit, beides wurde in einem Handstreich getilgt.
Vielleicht hatte Elisabeth Recht gehabt, als sie es Gottesgericht genannt hatte.
Elisabeth. Er musste zu ihr, sonst –
Plötzlich sah er ein kleines Mädchen, das heulend am Rockzipfel seiner Mutter zog, die reglos im Schnee lag.
Johann wollte zu dem Mädchen laufen, aber eine andere Gestalt bewegte sich blitzschnell an ihm vorbei und kam ihm zuvor. Einen Augenblick später sah Johann nur noch ein lebloses Bündel bei seiner toten Mutter liegen.
Johann fiel auf die Knie. In diesem Moment verschloss sich etwas in ihm, eine menschliche Seite, die er sich während seiner Flucht mühsam wieder erkämpft hatte und die nicht zuletzt Elisabeth zur vollen Entfaltung gebracht hatte.
Er schloss die Augen, der Lärm um ihn herum wurde immer gedämpfter, und er wurde wieder zu dem, der er einst auf den Schlachtfeldern gewesen war.
Johann stand auf.
Steckte sein Messer ein und griff sich ein Beil.
Dann fiel er über die Ausgestoßenen her.
Elisabeth wurde mit voller Wucht gegen die Holzwand geschleudert. Benommen taumelte sie zurück. Verschwommen sah sie ihn:
Seine strähnigen Haare hingen ihm ins Gesicht, das von schwarzen Verästelungen durchzogen war. Seine Kleidung war zerfetzt, die Hände voll getrocknetem Blut. Er glich eher einem Dämon aus der Hölle als einem Menschen, aber
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