Mord in Der Noris
nicht gesehen, und ebenso das
Futter – meist waren es Haselnüsse und Haferflocken – nicht. Das kann ich von
meinem Balkon gut sehen. Ja, und dann der dritte Grund war der große dunkle
Fleck vor ihrer Wohnungstür, auf dem Fußabstreifer. Für mich sah das wie Blut
aus. Ich hatte das ungute Gefühl, ihr ist etwas passiert. Letztendlich habe ich
deswegen bei der Polizei angerufen.«
»Das haben Sie gut gemacht. Aber das haben Ihnen meine
Kollegen bestimmt schon gesagt.«
»Nein«, das kam überraschend entschieden und mit
unterschwelligem Vorwurf in der Stimme, »da sind Sie die Erste.«
»Nun, das werden meine Kollegen in der Hektik
vergessen haben. Ich hole es hiermit ausdrücklich nach. Danke, Frau Vogel, für
Ihre Aufmerksamkeit. Wir von der Polizei sind bei unserer Arbeit auf die
Mithilfe von außen angewiesen, darauf, dass die Bürger die Augen nicht
verschließen.«
Sie machte eine Pause. Das musste als Anerkennung für
diese kleine Mühe einer besorgten Nachbarin genügen.
»Ich habe den Leichenwagen unten auf der Straße
gesehen. Frau Platzer ist also tot. Richtig?«
»Ja. Das ist richtig. Sie ist, davon gehen wir zum jetzigen
Zeitpunkt aus, ermordet worden. Insofern habe ich ein paar Fragen an Sie.
Wissen Sie, ob Frau Platzer verheiratet war?«
»Ja, das weiß ich. Frau Platzer war verheiratet, ist
aber mittlerweile geschieden. Ich habe Herrn Platzer noch kennengelernt. Sie
sind zusammen hier vor zwölf Jahren eingezogen, aber schon drei Jahre später
ist er wieder ausgezogen. Sie können sich sicher denken, warum.«
Paula ahnte es, wollte es aber aus dem Mund ihres
Gegenübers hören.
»Nein. Warum denn?«
»Er hat, als er sich von mir verabschiedete, sinngemäß
gesagt: ›Ich mag Elvira immer noch, sehr sogar, aber ich halte es da drin
einfach nicht mehr aus. Jedes Mal, wenn ich heimkomme, liegt wieder ein neues
Trumm mehr rum, und ich kann nichts dagegen tun. Sie will es einfach nicht
begreifen.‹«
»Wissen Sie, ob sich die beiden nach Herrn Platzers
Auszug zumindest ab und zu gesehen haben?«
»Das haben sie sicherlich nicht. Frau Platzer hatte
nämlich kein Verständnis für seine Flucht, als die ich seinen Auszug gesehen
habe. Nicht das geringste. Sie war der Überzeugung, er liebte sie nicht mehr.
Das war auch eines von diesen Themen, worüber man mit ihr nicht reden konnte.
Genau wie über ihre Sammelwut. Da hatte ihr Exmann schon recht: In diesem Punkt
war sie ganz und gar uneinsichtig.«
Paula notierte sich den Namen des Mannes und fragte:
»Dann wissen Sie wahrscheinlich auch, ob, und wenn ja, wo Frau Platzer
gearbeitet hat?«
»Gleich hier ums Eck, im Philipp-Melanchthon-Heim. Als
Altenpflegerin. Wie sie mir anvertraut hatte, gab es da in den vergangenen Monaten
aber auch viel Ärger. Sie hatte das Gefühl, man wolle sie rausekeln,
wegmobben.«
»Warum? Was ist vorgefallen? Hat sie Ihnen das auch
erzählt?«
»Nein. Ich habe keine Ahnung. Darüber wollte sie nicht
reden. Und ich habe sie auch nicht gefragt, weil sie sich mir offensichtlich
nicht näher anvertrauen wollte. Obwohl mir das schon seltsam vorkam. Bei so
etwas müssen doch konkrete Gründe vorliegen, irgendetwas, was man ihr zum
Vorwurf machte.«
»Nicht unbedingt. Mobbing-Geschichten können durchaus
auch aus dem Nichts entstehen und sich dann so lange hochschaukeln, bis der-
oder diejenige resigniert aufgibt. Aber das, also aufgeben, wollte sie
anscheinend nicht?«
»Sie hat hin und wieder mit dem Gedanken gespielt.
Aber ich habe ihr stets aufs Neue davon abgeraten, eindringlich abgeraten. Sie
dürfe nicht aufgeben, gerade in den heutigen Zeiten. Sie müsse sich behaupten
und solle sich nicht um ihren sicheren Arbeitsplatz bringen lassen.«
»Gut, das wär’s für Erste, Frau Vogel. Ach ja, eines
noch: Hatte Frau Platzer außer ihrem Exmann noch Angehörige, Eltern oder
Geschwister?«
Frau Vogel antwortete, sie wisse nur von der Mutter,
die ihre Nachbarin regelmäßig, mindestens einmal pro Woche, besucht habe. Paula
notierte sich Namen und Anschrift und dankte Frau Vogel erneut für die
Auskünfte, eine Spur zu überschwänglich. Schließlich würde sie die Zeugin
sicher noch öfter in Anspruch nehmen müssen.
Als Paula bereits den Griff der Wohnungstür in der
Hand hielt, sagte Elisabeth Vogel: »Ich muss das erst verdauen. Dass sie tot
ist, hatte ich ja schon geahnt, seit diesem roten Fleck auf dem Fußabstreifer.
Aber dass sie ermordet wurde … Ich verstehe das einfach nicht.«
Paula nickte ihr ein
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