Mord in Der Noris
wurde nun überlagert von
einer ungeheuerlichen Willensstärke, ihrer Chefin gegenüber auf keinen Fall
nachzugeben. In keinem Punkt! Eva Brunner hatte sich in der erzwungenen
Wartezeit auf einen Wettkampf eingestellt, und sie war fest entschlossen, dieses
Gefecht zu ihren Gunsten zu entscheiden. Schon allein deswegen, weil das bei
den kleinen Scharmützeln in der letzten Zeit auch so gewesen war. Ein Irrtum.
»Ich kann mir schon denken, was Sie mir jetzt alles an
den Kopf werfen werden«, begann die Anwärterin ihre Verteidigungsrede und sah
Paula dabei herausfordernd an.
»So, dann wissen Sie mehr als ich, Frau Brunner. Denn
ich werde Ihnen gar nichts an den Kopf werfen. Ich suspendiere Sie hiermit
offiziell für vorerst knapp zwei Wochen vom Dienst aufgrund mehrerer
schwerwiegender Verstöße gegen die Dienstvorschriften. Und ich halte Sie für so
intelligent, dass Sie mir mindestens drei davon nennen können.«
»Was kann ich dafür, wenn keiner da ist, und wir
kriegen einen Fall übertragen? Einer muss ja handeln, wenn Sie zu spät dran
sind und Heinrich wieder mal krankfeiert. Ich bin immer pünktlich an meinem
Arbeitsplatz. Denn einer musste sich ja um den Fall kümmern …«
»Ich fürchte, ich habe Sie überschätzt. Gut, dann der
Reihe nach. Erstens, Frau Brunner, war ich nicht zu spät dran. Mein Dienst
beginnt offiziell um neun Uhr, so wie der Ihre auch. Zweitens habe ich das mit
der despektierlichen Bemerkung über den derzeitigen Krankenstand von Herrn
Bartels überhört. Drittens haben Sie es bewusst versäumt, mich über den Mord
und die Tatsache zu informieren, dass unsere Kommission diesen Fall übertragen
bekommen hat. Wobei Ihnen Herr Breitkopf ausdrücklich aufgetragen hat, mich
darüber in Kenntnis zu setzen. Viertens haben Sie sich Leitungsaufgaben
angemaßt, die Ihnen in keiner Weise zustehen – und das coram publico. Und
fünftens, Frau Brunner, haben Sie dabei auch noch aus nicht nachvollziehbaren
Gründen die Kollegen von der Arbeit ab- und aufgehalten.«
Das musste fürs Erste genügen, fand sie. Es genügte
aber nicht.
»Warum sollte ich da oben dumm im Weg rumstehen? In
dem Fall, da haben Sie recht, hätte ich die anderen von der Arbeit abgehalten,
aber nur in diesem Fall. So aber eben bewusst nicht. Sie wissen ja selbst, wie
es da oben aussah.«
Trotziges Schweigen.
»Schade und auch erstaunlich, dass Sie das vergessen
haben. Der Ermittlungsführer ist für die Beschlagnahmung der Leiche zuständig,
er entscheidet ferner, in welchem Ausmaß die Spurensicherung abläuft, und er
begutachtet die Leiche. Das alles haben Sie verabsäumt.«
Als Eva Brunner widersprechen wollte, hob Paula die
Hand. »Insofern gehen Sie jetzt. Und nutzen Sie diese freie Zeit. Machen Sie
sich mit der Situation vertraut, dass Sie danach eventuell in eine andere
Kommission wechseln werden.«
Verunsichert und bestürzt sah Eva Brunner zu ihr auf.
Doch dieser kurze Moment der Irritation dauerte nicht lang, dann kehrte die
Hochnäsigkeit zurück, zusammen mit dieser großen Portion Selbstgerechtigkeit,
die ihrer Vorgesetzten Steiner heute bereits mehrere Male sauer aufgestoßen
war.
»Dafür brauche ich keine Woche. Das kann ich Ihnen
jetzt schon sagen: Ja, ich will in eine andere Kommission. Das hier ist mir
alles zu eng, zu wenig professionell. Sie kriegen doch von Fleischmann eh bloß
die Pamperl-Fälle mit Ihrer Zwei-Mann-Abteilung.«
»Gut, ich nehme das hiermit zur Kenntnis. Und ich
werde mich bemühen, dass Sie fortan in eine Kommission eingebunden sind, die
größer ist und auch spektakulärere Fälle bearbeitet als wir hier.«
»Das dürfte nicht allzu schwierig sein, denn alle
anderen Kommissionen sind ja bei Weitem größer als Ihre.«
Auch dieser letzte schnippische Seitenhieb traf sie
nicht. Sie nickte lediglich zustimmend. Und war erleichtert, dass sich ihre
ehemalige Mitarbeiterin bei diesem Gespräch als so entgegenkommend gezeigt
hatte. Für sie war damit die Episode Brunner, Eva erledigt. Mit wachsender
Ungeduld sah sie der Anwärterin dabei zu, wie sie ihre Siebensachen packte. Als
sie aber daranging, die Dienstpistole aus dem Rollschrank zu holen, legte Paula
ein Veto ein.
»Die Waffe bleibt hier. Ebenso wie Ihr Dienstausweis.«
»Aber wenn ich sowieso in Zukunft woanders tätig bin,
kann ich sie doch gleich mitnehmen. Was soll denn das?«
»Bis dahin bleibt sie hier. Frau Brunner, Sie haben
das anscheinend missverstanden: Sie haben nicht frei, das ist kein Urlaub, Sie
sind
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