Mordkommission
der spektakuläre Höhepunkt ist, ist für uns Mordermittler dann allerdings der Beginn eines oft makabren Alltags.
Die Fälle, von denen ich berichte, haben sich während meiner Tätigkeit als Leiter der Mordkommission und stellvertretender
Kommissariatsleiter im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums München zugetragen. Wer sich dabei wundert, dass bei den
geschilderten Fällen stets Männer die Täter waren, darf daraus nicht den – unzulässigen, weil falschen – Schluss ziehen, dass
Frauen nicht töten. Sie tun es sehr wohl, im Schnitt wird fast jedes fünfte Tötungsdelikt durch eine Frau verübt. Frauen töten
meist leise, mit Gift oder der Injektion tödlicher Dosen von Medikamenten, und sie töten oftmals aus Mitleid oder Verzweiflung.
So töten junge Mütter Neugeborene aus Angst vor Schande oder weil sie sich alleingelassen und überfordert fühlen. Töchter
töten ihre Mütter, um sie vor Schmerzen oder langem Siechtum zu bewahren, Altenpflegerinnen oder Krankenschwestern ertragen
die Qualen ihrer Patientinnen nicht länger. Jahrelang vergewaltigte und misshandelte Frauen töten ihre Peiniger, weil sie
die Fortsetzung der Gewalt und der Demütigung nicht länger ertragen können. Doch es gibt – natürlich – auch Frauen, die aus
gekränkter Eitelkeit, aus Eifersucht oder Habgier töten. Es gab und gibt all diese Fälle auch bei uns – jedoch bis dato keinen,
der während meiner Bereitschaft erfolgte. Fälle jedoch, an denen ich nicht direkt beteiligt war, habe ich in meinen Schilderungen
bewusst ausgeklammert, wofür ich um Verständnis bitte.
|12| Mordversuch an Erstklässlerin – Eine Soko wird gegründet
Bereits mein dritter Einsatz bei der Mordkommission machte mir auf drastische Art klar, mit welch unglaublicher und menschenverachtender
Brutalität ich künftig zu tun haben würde. Ein Beamter des Sittendezernates informierte uns über folgenden Sachverhalt: Die
Kollegen waren zu einer Grundschule in der Innenstadt gerufen worden. Die Klassenlehrerin hatte eine Erstklässlerin bei Unterrichtsbeginn
vermisst und von einer Mitschülerin erfahren, dass das Mädchen morgens von seinem Vater bis vor das Klassenzimmer begleitet
worden war und sein Schulranzen im Gang stand. Die Lehrerin machte sich auf die Suche nach der Schülerin und entdeckte die
Kleine schließlich in der Schülertoilette. Obwohl das Mädchen auf die Worte der Lehrerin kaum reagierte und die gesamten Umstände
merkwürdig waren, dachte sich die Lehrerin nichts dabei und ließ das Mädchen in Ruhe. Irgendwie war sie der Meinung, dass
sich der Vater oder die Mutter des Kindes in der Nähe befinde und sich um das Kind kümmern würde. Einige Zeit später sah die
Lehrerin nochmals nach dem Kind. Jetzt saß die Kleine auf dem Boden. Obwohl das Kind nun auf die Ansprache reagierte, machte
es auf die Lehrerin einen verwirrten Eindruck. Die Lehrerin ordnete die Kleidung des Mädchens, nahm es mit in das Klassenzimmer
und gab ihm zu trinken. Nachdem entgegen ihrer Vermutung weder Vater noch Mutter auftauchte, veranlasste die Lehrerin in der
nächsten Unterrichtspause, dass das Sekretariat die Mutter verständigte. Die Lehrerin war nach wie vor der festen Meinung,
die Schülerin sei erkrankt.
Die Mutter brachte ihre Tochter dann gleich zu einem Kinderarzt. Mittlerweile waren fast zwei Stunden vergangen. Bei der Untersuchung
stellte der Arzt fest, dass das Mädchen am Hals und am gesamten Oberkörper starke |13| und großflächige Stauungsblutungen aufwies, was auf einen massiven Würgevorgang hindeutete. Außerdem hatte das Kind Verletzungen
am Unterleib. Er verständigte daraufhin sofort einen Notarzt und ließ das Kind in eine Kinderklinik bringen.
Die erschreckende Diagnose der Klinikärzte sollte kurz darauf eine der größten Ermittlungsaktionen der Münchner Polizei der
letzten Jahre auslösen: Das Kind war auf brutalste Weise missbraucht worden. Der unbekannte Täter hatte die Kleine dabei auf
eine massiv lebensbedrohliche Art gewürgt oder stranguliert. Laut den behandelnden Ärzten grenzte es geradezu an ein Wunder,
dass das kleine Mädchen die Drosselung überlebt hatte. Zum Zeitpunkt dieser Feststellungen lag die Tat bereits mehr als vier
Stunden zurück. Erst jetzt wurde die Polizei alarmiert. Nachdem Beamte des Sittendezernates im Krankenhaus die Ärzte und die
Eltern befragt hatten, stand fest, dass es sich um einen versuchten Mord handelte. Nun
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