Mordkommission
genügend Erfahrung bei der »Leichensachbearbeitung« gesammelt, tritt er schließlich seinen Dienst in
einer Mordkommission an.
|236| Ein wenig anders sieht es – oder, genauer gesagt, sah es – mit der Bestellung zum Leiter einer Mordkommission aus. Bis 2001
rückten in München ausschließlich bewährte Sachbearbeiter aus den eigenen Reihen in die Leitung nach. Erstmals wich man 2001
von diesem Grundsatz ab, und so wurde ich im September 2001 als erster »Externer« zum Leiter einer Mordkommission in München
ernannt.
|237| Schlussgedanke
Im Regelfall münden die Ermittlungen der Mordkommissionen in aufsehenerregende Verfahren vor den Schwurgerichten. Häufig werden
bei Schuldsprüchen langjährige oder – bei Mord – lebenslange Freiheitsstrafen verhängt. Damit haben die Verfahren zwar ihre
gerechten justiziellen Abschlüsse gefunden – aber wie sieht Gerechtigkeit aus für Menschen, denen das Liebste für immer genommen
wurde? Ohne Möglichkeit der Umkehr, des Widerspruchs oder zumindest des Abschiednehmens? Wir Polizei- und Kriminalbeamte,
die wir bei tödlichen Unfällen oder bei Tötungsdelikten ermitteln und oftmals über Jahre Ansprechpartner der Angehörigen von
Opfern bleiben; die wir so unmittelbar wie sonst nur noch Ärzte, Pfleger oder Seelsorger tagtäglich Angst und Grauen und Leid
sehen und – ja, ich sage das ganz bewusst – mit erleiden, wir sind froh, dass wir nicht zugleich über die Schuldigen zu Gericht
sitzen müssen. Denn Gerechtigkeit kann in einer freiheitlichen Gesellschaft nur zuteil werden, wenn nicht die unmittelbar
Betroffenen das Maß der Dinge sind, sondern das Gemeinwohl aller. Um dies zu erkennen und vor allem zu akzeptieren, bedurfte
es für mich vieler Jahre Erfahrung in einem Bereich, über den so viel geschrieben und berichtet wird und von dem doch so wenig
wirklich bekannt ist: nämlich in einer Mordkommission.
Informationen zum Buch
Mord und Totschlag, Geiselnahmen, Eifersuchtsexzesse, die im Blutbad enden: Wer bei der Mordkommission arbeitet, muss sich
Tag für Tag mit Leid, Angst, Verzweiflung, Hass auseinandersetzen. Was im Kino meist als schneller Thriller abläuft, erfordert
in der Realität Durchsetzungsvermögen und harte Arbeit: oft sind tage-, wochen-, ja sogar jahrelange Ermittlungen notwendig,
bis ein Täter überführt werden kann. In den hier vorgestellten Fällen begegnen uns u. a. Kaltblütigkeit und falsch verstandene
Vaterliebe, verletzte Ehre und ihre vermeintliche Wiederherstellung, verräterische Internetrecherchen nach passenden Tötungsmethoden
und falsche Alibis. Richard Thiess zeigt auf, wie eine Mordkommission aufgebaut ist, er beschreibt die Situation bei Vernehmungen
und warum sie nach wie vor das Herzstück kriminalistischer Arbeit sind. Vor allem aber schildert er anhand eindringlicher
Fälle der letzten Jahre, wie eine Mordkommission ermittelt.
Informationen zum Autor
Richard Thiess , geboren 1952, ging nach dem Fachabitur zur Bundeswehr und verpflichtete sich auf zwei Jahre. Als Leutnant bei den Feldjägern
wurde er 1974 Leiter der »Zivilen Nachforschung«. Es folgten zweieinhalb Jahre als Kaufhausdetektiv und Abteilungsleiter »Haussicherheit«
bei zwei großen Münchner Kaufhäusern. In dieser Zeit war er an mehr als 2000 Festnahmen beteiligt. Die Erfahrungen, die er
dabei sammelte, setzte er in zwei staatlich geprüften und zugelassenen Fernlehrgängen für die Ausbildung von Kaufhaus- und
Privatdetektiven um, die er bis heute als genehmigte Nebentätigkeit vertreibt.
Im Alter von 24 Jahren erfolgte – als sogenannter Altanwärter – der Wechsel zur Polizei. Richard Thiess war nach der Ausbildung
im Streifendienst und als Zivilfahnder in einem Innenstadtrevier tätig, ehe er 1982 einen einjährigen Kurs für den Wechsel
zur Kriminalpolizei absolvierte. Es folgte 1983 ein zweijähriges Studium für den gehobenen Kriminaldienst und eine dreijährige
Dienstzeit beim Kriminaldauerdienst. Danach führte er 13 Jahre lang als stellvertretender Leiter eines Kriminalkommissariats
zahlreiche Sokos und Arbeitsgruppen gegen große Diebesbanden, darunter gegen die Münchner Marienplatzrapper, der bis dato
kriminellsten Jugendbande Deutschlands. Nach dem Wegfall des Eisernen Vorhangs reiste er im Auftrag des Bundesinnenministeriums
nach Lettland, um die dortige Polizei bei der Neuorganisation und bei der Neuausstattung zu unterstützen. Ein Jahr später
wurde er als
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