Mordkommission
endete, wenn sie seine Impotenz bemerkten.
Mittlerweile ging es auf vier Uhr morgens zu. Die Innenstadt war um diese Zeit wie ausgestorben, kein Laut drang durch die
Fenster in unser Büro. Der kleine Vernehmungsraum lag einsam und verlassen in dem dunklen Gebäude. Mit Ausnahme der Fragen
unseres Vernehmungsspezialisten und der leisen, monotonen Antworten des durch jahrelangen |18| Alkoholmissbrauch geistig merklich beeinträchtigten Verdächtigen war kein Geräusch zu hören. Knisternde Spannung lag in der
Luft: Würde der Verdächtige zusammenbrechen und die ungeheure Tat gestehen? Dann aber kam die unerwartete Wende: Der parallel
zu unserer Vernehmung noch in derselben Nacht im Institut für Rechtsmedizin durchgeführte DN A-Vergleich der Probe unseres Tatverdächtigen mit dem Muster vom Hals des Opfers ergab eindeutig, dass der Mann vor uns nicht der Täter
sein konnte. Unbehagen beschlich mich bei der Vorstellung, was wohl gewesen wäre, wenn keine Täter-DNA vorgelegen hätte und
wenn der eher einfach strukturierte Verdächtige nach der stundenlangen Vernehmung irgendwann Fiktion und Realität verwechselt
hätte. So aber konnte er dank der unglaublich verfeinerten Sicherungsmethoden im Bereich der DNA als Täter zweifelsfrei ausgeschieden
und entlassen werden.
Ein tatrelevanter Fingerabdruck von der Tür der Toilettenkabine erbrachte bei der automatisierten Überprüfung der Spur in
der Datenbank für Fingerabdrücke durch die Spezialisten des Landeskriminalamtes leider ebenso wenig einen Personentreffer
wie die Überprüfung des DN A-Musters in der bundesweiten Datenbank. Der DN A-Abgleich führte jedoch zu einem überraschenden Ergebnis: Dasselbe Spurenmuster war knapp zwei Monate vor dem Mordversuch an der kleinen
Anna bereits an einem anderen Tatort in München gesichert worden! Damals war eine Angestellte einer Innenstadtklinik von einem
Unbekannten in den frühen Morgenstunden in einem Umkleideraum überfallen und mit großer Brutalität vergewaltigt und bis zur
Bewusstlosigkeit gewürgt worden. Hatten wir es mit einem Serientäter zu tun, der wahllos Kinder und erwachsene Frauen überfiel?
Die Überprüfung aller in Bayern registrierten Sexualstraftäter, von denen bislang kein DN A-Muster vorlag, wurde entsprechend ausgeweitet.
Unterdessen hatten die Eltern mitgeteilt, dass eine Trinkflasche, die immer an Annas Schulranzen hing, verschwunden |19| war. Deshalb wurde über die Medien, die den Fall mit außerordentlicher Intensität begleiteten und die polizeilichen Maßnahmen
in jeder Hinsicht unterstützten, ein Fahndungsaufruf mit der Abbildung einer Vergleichsflasche veröffentlicht. Zahlreichen
Hinweisen aus der Bevölkerung wurde – leider ergebnislos – nachgegangen. Alle männlichen Personen, die in den letzten Jahren
mit der Schule etwas zu tun gehabt hatten – wie Lehrer, Lieferanten, Väter, Handwerker –, wurden überprüft, ohne dass es gelungen wäre, dem Täter auf die Spur zu kommen. Die Auswertung sämtlicher auf freiwilliger
Basis abgegebenen Speichelproben und Fingerabdrücke verlief im Sande.
Bei einer erneuten sorgfältigen Absuche im Umfeld des Tatortes fand unser Hauptsachbearbeiter dann überraschend die vermisste
Trinkflasche von Anna, die der Täter offenbar in einem Sicherungskasten nahe der Toilette versteckt hatte. Das interessierte
uns natürlich brennend: Was konnte den Täter dazu veranlasst haben, Annas Trinkflasche an sich zu nehmen, um sie dann in der
Nähe zu verbergen? Alle Beamten der Soko wurden zusammengerufen und es wurden die unterschiedlichsten Theorien entwickelt
und wieder verworfen. Eines aber stand fest: Die Flasche musste genauestens untersucht werden.
Als Erstes erhielten wir das Ergebnis der DN A-Untersuchung : An der Trinkflasche befand sich sowohl von dem Mädchen als auch vom Täter DN A-Material . Die chemischtoxikologische Untersuchung des Flascheninhaltes führte dann zu einer wirklichen Überraschung: Dem Orangensaft
in der Flasche war offensichtlich eine geringe Menge Essigsäure-Ethylester zugesetzt worden. Diese Feststellung war Anlass
zu langen und zum Teil kontroversen Diskussionen während unserer täglichen Zusammenkünfte. Jeden Morgen nach Dienstbeginn
und jeweils abends, wenn andere Behörden längst Feierabend hatten, trafen wir uns in einem großen Besprechungsraum. Dort trug
jeder Abschnitt die neuesten Erkenntnisse vor, etwa die Ergebnisse der Ermittlungen oder
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