Uebermorgen Sonnenschein - Als mein Baby vertauscht wurde
KAPITEL 1
E s sind die sonnigen Tage in unserem Garten, die ich am meisten liebe. Wir alle genießen diese Zeit. Yara springt auf dem Riesentrampolin, Lina planscht im Schwimmbecken, Ralf jätet Unkraut, und ich entspanne im Liegestuhl, trinke einen Cappuccino und schaue dem Treiben der anderen zu. Wir fahren nirgends hin, wir planen nichts, sondern leben einfach in den Tag hinein. Manchmal kommen am Abend spontan ein paar Freunde vorbei, und wir grillen, was noch im Kühlschrank oder in der Vorratskammer zu finden ist. Das ist unser kleines Paradies, unsere heile Welt.
Damals, im Frühjahr 2007, war auch einer dieser herrlichen sonnigen Tage. Ich lag mit dickem Babybauch im Garten und machte mir Gedanken über die bevorstehende Geburt. Bis zur 35. Woche hatte sich die Kleine wie wild in meinem Bauch gedreht, zwanzig Stunden am Tag, er war schon ganz verbeult … und ich hatte das Gefühl, dass sie nie richtig lag. Ob das noch was wird? , grübelte ich. Bestimmt holen sie sie wie Yara mit der Saugglocke oder noch schlimmer: mit einem Kaiserschnitt. Dabei hätte ich so gern ambulant entbunden, das war ein großer Wunsch von mir. Ein paar Stunden im Krankenhaus, und dann alle ab nach Hause. Doch ich befürchtete, dass dieser Wunsch auch dieses Mal nicht in Erfüllung gehen würde. Und während ich meine Gedanken weiter schweifen ließ, sah ich mich plötzlich im Kreißsaal, und Hannah, meine Hebamme, hielt freudestrahlend unser Baby in die Höhe. Da war sie, unsere Kleine! Was für ein wundervolles Kopfkino … Ralf und ich als überglückliche und stolze Eltern. Bevor wir unsere Tochter aber selbst im Arm halten durften, verschwand Hannah mit ihr in einen anderen Raum, wo alle Neugeborenen medizinisch versorgt wurden. Ralf blieb bei mir und streichelte über meinen verschwitzten Kopf. Ungeduldig warteten wir, dass uns unser Kind endlich gebracht wurde – als etwas Ungeheuerliches passierte: Unsere Kleine, die noch kein Namensbändchen bekommen hatte, wurde von der zuständigen Krankenschwester im Untersuchungszimmer mit einem anderen Mädchen, das auch gerade zur Welt gekommen war und ebenfalls noch kein Namensbändchen trug, verwechselt! Die Krankenschwester, die sich beeilte, weil die Säuglinge schrien und weil noch genug Zeit zum Bonding bleiben sollte, brachte uns das falsche Baby zurück. Das Allerschlimmste aber war: Weder ich noch Ralf bemerkten die Vertauschung.
Ein Schauer lief mir den Rücken hinunter; was Fantasie sein sollte, fühlte sich wie gruselige Wirklichkeit an. Und dieser Sonnentag im Garten erschien mir auf einmal gar nicht mehr so strahlend und warm.
Ich wollte diese Schreckensvorstellung am liebsten abschütteln, aber sie überfiel mich wieder und wieder. Ich wunderte mich über mich selbst. Statt Angst davor zu haben, dass meinem Baby während der Geburt etwas passieren könnte – schließlich hatte ich schon oft gehört, was Sauerstoffmangel und andere Komplikationen anrichten konnten –, biss ich mich allein an diesem einen absurden Gedanken fest. Ich hatte weder Angst davor, dass das ungeborene Kind eine Behinderung haben könnte, noch kam mir der Gedanke, dass mir selbst etwas während des Geburtsvorgangs zustoßen könnte, in den Sinn. Und das, obwohl ich solch einen tragischen Fall sogar kannte. Die Schwester meines Exfreundes starb bei der Geburt ihres zweiten Kindes, nachdem ihr eine Ader im Kopf geplatzt war.
Doch nachvollziehbare Ängste quälten mich nicht. Mir graute allein vor dem total unwahrscheinlichen Fall einer Kindesverwechslung.
Es war während einer Milchschnitte- und einer Maggi-Werbung, vielleicht auch, als für o.b. oder Duracell geworben wurde, als ich Ralf zum ersten Mal davon erzählte. »Du? Ich hab Angst, dass unser Baby nach der Geburt vertauscht werden könnte. Stell dir mal vor, man geht mit einem falschen Kind nach Hause! Der totale Horror, oder?«
Mir war schon klar, dass er mich bestimmt nicht in den Arm nehmen und antworten würde: »Schatz, jetzt mach dir mal keine Sorgen. Das wird bestimmt nicht passieren. Aber ich kann dich so gut verstehen, diese Angst beschleicht mich auch hin und wieder.« Ralf, der auch sonst eher ein nüchterner Typ ist, kann sich in Ängste, die für ihn »irreal« sind, einfach nicht hineinversetzen. Ich schätze, so geht es den meisten Menschen, insbesondere den meisten Männern.
»Wie bitte soll das denn passieren? Das ist im Leben noch nicht vorgekommen«, entgegnete er kopfschüttelnd und schaute mich ungläubig
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