Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mords-Bescherung

Mords-Bescherung

Titel: Mords-Bescherung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Weidinger
Vom Netzwerk:
mischte sich eine unverständliche Lautsprecherstimme. Klingt, als würde
jemand durch ein Handtuch ins Mikrofon sprechen, dachte er.
    Ganz hinten rechts drang Licht aus einer Bar. Als
sie vorhin daran vorbeigefahren waren, hatte er gesehen, dass noch einige Gäste
darin gewesen waren. Ein paar Autos parkten zu beiden Seiten der Straße. Jetzt
kam wieder eines herangerollt, ein Lieferwagen oder Lastwagen, wie die
Anordnung der Scheinwerfer vermuten ließ. Das Fahrzeug verlangsamte, der
Blinker wurde gesetzt, es fuhr links ran, und kurz darauf stiegen zwei Leute aus
und überquerten die Straße zur Bar hin.
    Was Spiss nicht sah, war, dass keine zwanzig
Meter von ihm entfernt ein Auto am Straßenrand stand, das ihm schon eine ganze
Weile gefolgt war. Die Scheinwerfer waren ausgeschaltet, das Innenlicht
ebenfalls. Er bemerkte nicht, dass jemand hinterm Steuer saß und ihn
beobachtete.
    »Puh, saukalt!«
    Spiss erschrak und musste dann aber gleich über
sich selbst lächeln. Carla war lautlos zurückgekehrt, war plötzlich neben ihm
gestanden, und er hatte sie erst bemerkt, als er ihre Stimme hörte.
    »Komm!«, sagte er. Er drückte sie an sich, nahm
sie in den Arm, beschirmte sie und hastete mit ihr zum Auto.
    »Jetzt müssma aber schaun, dass wir nach
Innsbruck kommen«, sagte sie. »Du weißt, ich muss um zwölf zu Haus sein.«
    Sie schüttelte sich und rieb sich die Hände.
    Spiss ließ den Wagen an und sagte: »Das schaffen
wir.«
    Er rangierte den Mercedes in die Straßenmitte und
ließ ihn im zweiten Gang auf die Grenze zurollen.
    Er blickte kurz zu ihr hinüber. Durch die grellen
Scheinwerfer an der Grenze war es im Wagen hell genug, dass er eine Sekunde
lang ihr rotbraunes Haar sah und wie wunderbar leicht es ihr auf die Schultern
fiel. Dass der Schnitt ein bisschen bieder war, nicht sehr sexy, machte ihm
nichts. Im Gegenteil – es reizte ihn doppelt.
    Lächelnd nahm er wahr, wie Carla sich den kurzen
Rock straff zog, sich ihren roten Mantel vom Rücksitz holte und über den Schoß
legte.
    »Passaporti, per favore«, sagte der Zollbeamte
durchs halb heruntergekurbelte Seitenfenster. Es genügte ihm, einen kurzen
Blick auf die Ausweise zu werfen, dann winkte er Spiss weiter.
    Doch die Prozedur war noch nicht vorüber. Keine
fünfzig Meter weiter trat ein österreichischer Grenzer aus seinem verglasten
Häuschen, der Atem kam ihm als kleines Wölkchen aus dem Mund, er schlug den
Kragen hoch, beugte sich zum Wagen herunter und erbat ebenfalls die Papiere. Er
hatte eine Taschenlampe bei sich und leuchtete in den Innenraum des Fahrzeugs,
woraufhin Spiss die Innenbeleuchtung anschaltete.
    »Haben Sie was zu verzollen?«, fragte der Beamte.
»Spirituosen, Tabak, Schmuck?«
    Spiss lächelte ihn an und reichte ihm seinen
Ausweis. »Nein, nichts. Wir haben nur einen Ausflug gemacht. Meine Nichte und
ich. Bozen. Wir waren in Bozen.«
    »Einen Augenblick«, sagte der Beamte. Er nahm den
Ausweis und trat damit in sein verglastes Häuschen. Im kranken Neonlicht seines
Arbeitsplatzes begutachtete der Beamte die Papiere. Aber er tat es wohl nur,
weil ihm langweilig war.
    »Der fadisiert«, sagte Spiss zu Carla.
    »Deine Nichte …«, sagte sie und kniff ihn in den
Oberschenkel. Und sie fasste ihm ganz kurz in den Schritt. »Mein Onkel.« Sie
lächelte anzüglich und schob ihre Zungenspitze ein klein wenig zwischen den
Lippen hindurch.
    »Danke«, sagte der Beamte, reichte die Ausweise
wieder zurück und wünschte »eine gute Fahrt noch«. Und in dem Augenblick, da
Spiss den Automatikhebel auf N stellte, sagte der Mann noch: »Geben Sie
Obacht, könnte glatt werden heut Nacht …«
    Spiss dankte mit einem Nicken, dann fuhr er los:
langsam und mit der Eleganz, die automatikgetriebenen Limousinen nun einmal
eigen ist.
    Er drehte die Heizung voll auf, um die Kälte, die
am Grenzübergang ins Fahrzeug gedrungen war, schnell wieder in den Griff zu
bekommen. Und natürlich wollte er, dass Carla den Mantel, der ihren Schoß und
ihre Schenkel bedeckte, wieder weglegte. In einer guten halben Stunde würde er
sie aus dem Auto steigen sehen, ein letztes Mal für lange Tage, gar Wochen. Er
würde sie vermissen in jeder Stunde dieser Tage, und in den Nächten würde er
von ihr träumen oder, in den seltenen Fällen, da dies noch geschah, würde er an
sie denken, wenn er mit seiner Frau schlief.
    Carla schien seine Gedanken zu erraten. Sie warf
den Mantel auf den Rücksitz. Im Licht der ersten Ortschaft – Gries am Brenner –, durch

Weitere Kostenlose Bücher