Mords-Bescherung
und seiner Stimme an den Apparat holen.
»Karl«, sagte er. »Ich bin’s, Kröninger. Ich habe
noch keine Information, wer Spiss ärztlich betreut und wer das Mädchen als
Erster auf den Tisch bekommen hat. Kannst du mir die Ansprechpartner besorgen?
Ja, es eilt. Ich wär dir sehr dankbar, wenn das in der nächsten halben Stunde
passieren würde …«
Kröninger wartete auf den Rückruf. Und während er
wartete, überlegte er, wie er an den Fotografen herankäme – und wie er diesem
Hellwage einen Strick drehen könnte.
Dann läutete das Telefon. Ein Dr. Mast war
dran. Von dem hatte er noch nie etwas gehört. Aber die Klinik war schließlich
groß. Mast war Unfallchirurg und hatte am gestrigen Morgen mit seinem Team um
das Leben von Carla Manczic gekämpft.
»Es war klar, dass es keine Chance mehr gab«,
sagte der Arzt. »Schon als wir sie in den OP bekamen. Aber es geschehen ja auch in der Medizin immer wieder
Wunder. Nicht oft, aber immerhin. Doch selbst, wenn es so ein Wunder gegeben
hätte, es wäre kein richtiges Leben mehr geworden. Nichts, was Sie als Leben
akzeptieren würden.«
»Ein Pflegefall?«
»Hmm. Kommt darauf an, was Sie darunter
verstehen. Ich gehe davon aus, dass die junge Frau nie mehr aus dem Koma
erwacht wäre. Ein Fall für die Intensivmedizin.«
»Was wäre gewesen, wenn sie schneller Hilfe
bekommen hätte?«
»Wie meinen Sie das, Herr Staatsanwalt? Wir haben
umgehend reagiert. Wir haben wirklich getan, was wir konnten …«
»Dafür seid ihr bekannt«, sagte Kröninger. »Und
darum geht es auch gar nicht. Was mich interessiert, ist, was geschehen wäre,
wenn man sie schneller gefunden hätte. Die Eltern des Mädchens hatten es
spätestens um Mitternacht zurückerwartet. Sie wussten nicht, dass es mit einem
Mann unterwegs war. Sie vermuteten die Tochter bei einer Freundin. Und Vater
wie Mutter betonen, dass ihr Mädel immer zuverlässig gewesen sei. Deshalb denke
ich, dass sich dieses Unglück vor Mitternacht ereignet hat. Erst viel später
wurde die Rettung alarmiert. In der Zeit dazwischen muss jemand am Unglücksort
gewesen sein und fotografiert haben. Das Bild können Sie heute im ›Tiroler
Stern‹ bewundern. Wenn der Mensch, der das Foto gemacht hat –«
Dr. Mast hakte ein: »Ich weiß, was Sie
meinen. Wenn dieser Mensch Hilfe geleistet oder wenigstens gleich bei der
Rettung angerufen hätte … Aber um ehrlich zu sein, viel geändert hätte sich
nicht. Die Verletzungen der jungen Frau waren so schwerwiegend, dass es eh
schon an ein Wunder grenzt, hier im OP noch Herztöne von ihr festgestellt zu haben. Moralisch ist diese
unterlassene Hilfeleistung sicher verwerflich, rein medizinisch aber ist sie
von nachrangiger Bedeutung.«
»Und Spiss? Wie steht es um den Fahrer des
Wagens? Was wäre, wenn …«
»Nichts wäre. Wenn Komplikationen ausbleiben,
wird er den Eingriff gut überstehen. Wir haben ihn in künstlichen Tiefschlaf
versetzt, und wir werden ihn morgen oder übermorgen langsam in den Wachzustand
holen. Mit letzter Gewissheit kann man das alles erst in ein paar Tagen sagen.
Aber ich bin sehr optimistisch.«
Kröninger schwieg. Das Gespräch mit diesem Arzt,
seine sachliche und ruhige Art wirkten gleichsam beruhigend auf ihn. Seine Wut
verflog. Er war froh zu hören, dass Spiss überleben würde. Zugleich befiel ihn
Traurigkeit darüber, dass dieses Mädchen – es war noch ein Mädchen, das wusste
er, egal, auf was sie sich eingelassen hatte – so tragisch hatte enden müssen.
Es verstrichen einige stille Sekunden, ehe
Kröninger wieder etwas sagte.
»Ich danke Ihnen für die Auskünfte. Geben Sie mir
doch bitte noch Ihre Nummer. Es ist wahrscheinlich nicht das letzte Mal, dass
ich mit Ihnen reden möchte.«
Er kritzelte sie auf einen kleinen Block,
bedankte sich noch einmal und legte auf.
Zurückgelehnt in seinem Bürostuhl, dachte er,
dass es wenig Sinn ergeben würde, den verfluchten Fotografen ausfindig zu
machen und vor den Kadi zu zerren. Für die Eltern des Mädchens würde es alles noch
viel schlimmer machen.
Wenn schlimmer überhaupt noch geht, dachte er.
Aber er wusste, schlimmer ging.
Er wusste, der Tod des Mädchens war durch das
Foto noch schlimmer geworden. Das Foto war nicht mehr zurückzunehmen. Das war
grausam, fürchterlich. Kröninger hätte den Fotografen gerne fertiggemacht, nach
allen Regeln seiner juristischen Kunst – und insgeheim auch darüber hinaus:
psychisch und körperlich. So dachte und fühlte der eine Teil
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