Mordsmöwen
Stellvertreters sind noch offen. Wen schlägst du vor, Ahoi?«
Ich schaue in die Runde. Als mein Nachfolger kommt nur eine Möwe in Frage, der ich diesen Job zutraue: »Grey …«
Der Kopf von Harrys Sohn fährt herum. »Was denn? Ich hab doch gar nix gemacht, hab nicht gestört!«
Natürlich hat er kein Wort mitbekommen, weil er sich mehr für das Geschehen in seiner Umgebung interessierte, beste Eigenschaften also. »Du hast in der Gegend herumgeschaut, während wir hier Sitzung haben«, sage ich mit einem feinen Grinsen.
»Ist das verboten?«
»Nein, in Zukunft ist das als Späher dieser Truppe sogar dein Job. Und so zu tun, als ob du gleichzeitig zuhören könntest, das bringe ich dir auch noch bei.«
Grey bleibt der Schnabel offen stehen, und er schaut verunsichert zwischen mir und seinem Vater hin und her, ob das vielleicht eine neue Art von Scherz ist. Ich nicke Grey noch einmal aufmunternd zu, und sein Vater tut dasselbe.
Balthasar seufzt. »Scheff Ahoi, du musst vorher noch fragen, ob die Wahlen offen oder geheim stattfinden sollen.«
»Ach was, ich mach den Job!«, jubelt Grey. Die übrige Truppe klatscht Beifall. Jugenderinnerungen kommen in mir hoch. Ich war so alt wie Grey, als ich meinen Posten angetreten habe.
»Einstimmig«, sage ich.
»Mit einer Enthaltung«, brummt Balthasar und macht seine Notiz auf das Dach des Crêpes-Standes. »Und jetzt noch der Posten des Stellvertreters.«
Ich schaue mich um. Mein Blick fällt auf Harry. Er lenkt ihn weiter auf eine Möwe, die in seinen Augen besser als mein Stellvertreter geeignet wäre, auch weil er sich in den vergangenen Tagen für die Truppe sehr verdient gemacht hat. Und Harry hat recht.
»Ich schlage Alki vor«, sage ich.
»Mich?«, fragt der Genannte und macht dabei eine ruckartige Bewegung nach hinten, als hätte ihn eine Sturmböe erfasst.
»Ja«, bekräftige ich. »Solange du auf dem Autozug deine Therapie machst, übernimmt Harry kommissarisch deinen Posten. Danach wirst du mein Stellvertreter – wenn du möchtest.«
Freudig, aber ungläubig staunend versichert sich Alki bei seinen Kumpels, dass sie ihn tatsächlich in dieser Rolle akzeptieren würden. »Ich danke euch und nehme den Posten an, sobald ich wirklich trocken bin. Ich habe nur eine Bitte.«
»Und die wäre?«
»Ich will nicht mehr Alki genannt werden. Ich möchte dann Adalbert heißen.«
Jonathan und Helgi geben Alki den Flügel, wünschen ihm alles Gute und kommen auf mich zu. »Wir wünschen auch dir viel Erfolg, Scheff Ahoi, du wirst deinen Job sicher richtig gut machen, und bestimmt hören wir bald sogar in der Ferne von eurer Truppe.«
»Wie? Ihr wollt nicht bei uns bleiben?«
»Nein, wir werden uns eine Zukunft jenseits des Ozeans suchen«, sagt Jonathan, und ich merke an seinem Tonfall, dass er nicht umzustimmen ist. »Wir gehen dorthin, wo wir akzeptiert werden.«
Er betont das Wir besonders, und da fällt es mir plötzlich wie Läuse aus dem Gefieder.
»Ja«, sagt Jonathan. »Helgi und ich, wir lieben uns.«
Zur Bestätigung nimmt Helgi zuerst schüchtern, aber dann doch fest den Flügel von Jonathan. »Wir haben so viele gemeinsame Interessen, wir lieben die Weite des Meeres und suchen auf einem Passagierschiff unser Glück. Uns beide haben wir ja schon gefunden.«
Jetzt ist es an mir, vor Erstaunen den Schnabel nicht mehr zuzukriegen. Aber dann fasse ich mich. »Ich freue mich für euch. Ihr seid ein schönes Paar. Und gemeinsam werdet ihr das schaffen, da bin ich mir sicher.«
»Danke, Scheff Ahoi. Für alles. Und man sieht sich immer zweimal im Leben!« Sie verabschieden sich noch von den anderen, und dann sind sie weg.
Ob nun auch Suzette aufbrechen wird?
»Und du, Suzette, möchtest du wieder ein Mitglied unserer Bande sein?« Ach verdammt, eigentlich will ich sie etwas ganz anderes fragen. Ich fasse mir ein Herz und berühre zart ihre Flügelspitzen. Jetzt oder nie. Alles auf eine Feder. »Suzette, ich … ich liebe dich. Schon viel länger, als du dir das vorstellen kannst. Und jetzt, da ich Scheff dieser Bande bin, möchte ich dich fragen, ob du … möchtest du eine Dauerbrutpartnerschaft mit mir eingehen?«
Suzette zieht ihren Flügel nicht zurück, aber sie denkt nach. Und jede Sekunde, die ich auf ihre Antwort warten muss, wird mein Herzschlag stärker und pocht am Ende so schmerzhaft, dass ich glaube, laut schreien zu müssen.
»Ahoi … es tut mir leid, aber ich möchte keine Ehe mit dir eingehen.«
Ich schlucke trocken. Ich
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