Mordsmöwen
Miiiiiieeesmuschel rufen«, sagt Jonathan kopfschüttelnd.
»Na ja, Papa, dich haben sie wohl bei ›Muschel‹ erwischt.«
Jonathan beugt sich ebenfalls über die Zeitung. »Wow, bin ich gut getroffen, schaut euch das mal an. Dynamik, Begeisterungsfähigkeit, Durchsetzungskraft, Kreativität – das alles drücke ich mit meiner Mimik und Gestik aus.«
Helgi nickt anerkennend. Er steht auf dem Bild neben Jonathan und schaut nicht in die Kamera, sondern auf ihn. So wie jetzt auch. »Mit dem Bild kannst du dich als Model bewerben.«
Täusche ich mich, oder ist im Blick zwischen den beiden etwas … ich meine, so ein aufgeladenes Knistern, das ich eigentlich zwischen Suzette und mir gerne hätte?
»Balthasar, lies den Bericht bitte vor«, sagt unser Scheff, und erst jetzt fällt mir auf, dass er auf dem Foto seine Thunfischdose nicht trägt. Eigentlich sieht es ihm gar nicht ähnlich, mit diesem Statussymbol hinterm Berg zu halten, aber vielleicht wollte er kein unnötiges Aufsehen unter den Menschen erregen.
Wir scharen uns im Halbkreis um Balthasar, und dann rührt sich keiner mehr, um bloß keines der vorgelesenen Worte zu verpassen.
Mord an Crêpes-Knut aufgeklärt
Westerland. Die traurige Wahrheit schockiert Sylter Gäste und Insulaner: Knut J. (32) aus Hörnum ist tot. Ein Abschiedsbrief ließ zunächst einen Suizid vermuten (wir berichteten). Doch nach Mitteilung des Mordkommissionsleiters Andreas Andersen auf der Presseversammlung am gestrigen Abend handelt es sich um Mord, begangen von Johanna J., der Mutter des Toten. »Wir fanden die Leiche in einer Surfbretttasche, die unter Wasser an die Kette einer Boje angehängt war«, so Andersen. Die abschließenden Ergebnisse aus der Rechtsmedizin stehen noch aus, aber es wird bislang davon ausgegangen, dass Knut J. nach stumpfer Gewalteinwirkung oder einem Sturz bewusstlos war und erst dann mit einem Stoffgürtel stranguliert wurde. Das Motiv: ein Streit um Erbschaftsansprüche. Mysteriös in diesem Fall bleibt, warum sich das Smartphone von Knut J., dessen Ortung schlussendlich zum Auffindungsort führte, nicht an der Leiche sicherstellen ließ. Das Gerät wird weiterhin an unterschiedlichen Stellen der Insel geortet, hauptsächlich im Bereich des ehemaligen Crêpes-Standes von Hörnum.
Die Polizei konnte nach eingegangenen Zeugenhinweisen im Bereich der Kampener Vogelkoje und im Denghoog in Wenningstedt Bargeld und wertvollen Schmuck sicherstellen, der aus dem Elternhaus des Ermordeten in Keitum entwendet wurde. Es wird von einem Erpressungsversuch ausgegangen. Zwei Männer im Alter von zweiunddreißig und dreiundvierzig Jahren wurden deshalb in Hörnum und List bereits festgenommen.
Der Zwillingsbruder des Ermordeten, Sönke J., räumte ein, den Abschiedsbrief gefälscht zu haben. Eine weitere Tatbeteiligung wird noch untersucht. Sönke J. befindet sich derzeit in U-Haft. Falls der Richter eine sukzessive Beihilfe erkennt, drohen ihm mindestens drei Jahre Haft.
Leider konnte der Tathergang bislang noch nicht lückenlos aufgeklärt werden, da die mutmaßliche Täterin Johanna J. auf ihrem Anwesen Suizid begangen hat. Mittels eines Telefonanrufs bei der Polizei hat sie sich jedoch kurz vor ihrem selbst gewählten Tod dazu bekannt, ihren Sohn Knut getötet zu haben. Das historische Anwesen in Keitum steht nach unseren Recherchen zum Verkauf.
Besonders wichtig sind der Polizei nun der oder die anonymen Zeuge(n), die mittels seltsamer und zunächst unzusammenhängend erscheinender Hinweise, die, in einer Plastiktüte gesammelt, am Eingang zur Polizeiwache lagen, zur Aufklärung des Falles entscheidend beitrugen. Der/die Zeuge(n) hinterließen keine Handschrift, es handelt sich um Seiten, die aus Büchern herausgerissen wurden.
Entsprechende Spuren fand man in der Stadtbücherei in Westerland, wo verschiedene Bücher von den Mitarbeitern auf dem Boden verstreut vorgefunden wurden. Es gab keine Einbruchsspuren. Dazwischen lagen, wie auch schon bei dem ungeklärten Eindringen von Möwen in das Museum in Keitum, einige Möwenfedern. Johanna J. berichtete ebenfalls von Möwen in ihrem Haus. Welcher Zusammenhang hier vorliegt, ist den Ermittlern bisher noch nicht bekannt.
Besonders rätselhaft ist ein unter den Hinweisen gefundenes Papier, auf dem sich mit Stempelkissenfarbe der Abdruck von neun Möwenfüßen befindet. Und trotz intensiver Bemühungen ist es der Polizei noch nicht gelungen, einige von dem/den Zeugen angegebenen Namen und Begriffen
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