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Morenga

Morenga

Titel: Morenga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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Aufstand der Hottentotten (richtig Nama) aus, fast genau acht Monate, nachdem sich die Herero erhoben hatten. Damit herrscht im ganzen Land der Kriegszustand. Der deutsche Generalstab muß abermals Truppenverstärkungen in Marsch setzen.

Jenseits der Brandung

    Oberveterinär Gottschalk wurde von einem Neger an Land getragen. Draußen, vor der Brandung, ankerte die »Gertrud Woermann«. Kruneger hatten die Soldaten durch die Brandung gepaddelt. Am Ufer standen Neugierige, darunter viele Soldaten, auch ein paar Frauen waren zu erkennen, Sonnenschirme in den Händen. Gottschalk mußte an ein Seebad denken, Norderney, wo er einmal Urlaub gemacht hatte. Nur die weißen Verbände der Verwundeten störten diesen Eindruck. Als das Boot im seichten Wasser festlief, war Gottschalk einem der dort wartenden Neger auf den Rücken gestiegen. Der Mann war nur mit einer zerrissenen Anzughose bekleidet. Gottschalk fühlte die schwitzende schwarze Haut, er roch den sauren Schweiß. Er ekelte sich. Mit einer sanften Drehung wurde er in den Sand gestellt.
    Gottschalk stand auf afrikanischem Boden. Er glaubte, der Boden schwanke unter seinen Füßen.

    Vor fast drei Wochen war Gottschalk in Hamburg an Bord der »Gertrud Woermann« gegangen. Am Nachmittag des 28. September 1904 hatte ein dünner Schnürregen eingesetzt. Die Pferde waren schon verladen und standen geschützt in dem vorderen Laderaum. Im Achterschiff verschwanden noch immer Munitionskisten, Geschütze und Proviant. Um 18. 30 Uhr heulte mit einem weißen Schweif die Dampfsirene. Die Gäste mußten von Bord. Die Luken waren schon verschalt und mit einer Persenning überzogen. Unten, auf dem Kai, standen Hunderte von Menschen, Verwandte, Freunde, Neugierige, von denen man hier oben auf dem Bootsdeck nur die schwarzen Schirme sehen konnte. Gottschalks Eltern hatten geschrieben, sie wollten auf dem Deich bei Glückstadt stehen und winken, er solle das vom Schiff aus ebenfalls tun, am besten mit einer weißen Tischdecke. Eine Musikkapelle der 76er war auf dem Kai aufgezogen und spielte Märsche. Der Lotse kam an Bord. Das Fallreep wurde eingezogen, und plötzlich war im Schiff ein gleichmäßig stampfendes Dröhnen, das jetzt fast drei Wochen anhalten sollte, ein leichtes Vibrieren der Decksplanken, das Klappern eines Flanschs. Aus dem Schornstein quollen schwarze Rauchwolken, die, bei der Windstille und da das Schiff keine Fahrt machte, vom Regen auf das Deck niedergedrückt wurden. Kleine fettige Rußkrümel setzten sich auf Gottschalks grauen Uniformmantel und hinterließen, als er versuchte sie abzustreifen, schwarze Striche. Und erst jetzt, die Trossen waren schon losgeworfen, die Kapelle spielte: Muß i denn, muß i denn zum Städtele hinaus – angesichts dieser schwarzen Rauchfahne, die sich langsam und rußend über das Schiff hinwegwälzte, hatte Gottschalk plötzlich den Wunsch, wieder auszusteigen. Da wurde ein Krieg geführt, der ihn, genaugenommen, doch gar nichts anging. Wie war er nur auf den verrückten Gedanken gekommen, sich freiwillig zu melden? Andererseits hatte er sich in den vergangenen Tagen auf Südwest gefreut. Dort begann, während in Deutschland die Tage kürzer und kälter wurden, der Sommer. Seit seiner Kindheit hatte Gottschalk einen Traum: Es gab keinen Sommer. Entweder er hatte ihn verschlafen, oder aber er war aus unerklärlichen Gründen ausgeblieben. Die Offiziere und Mannschaften an Deck brachten ein dreifaches Hurra auf den Kaiser aus. Gottschalk hörte sich dreimal hurra rufen.
    Zwei Schlepper zogen den Dampfer vom Kai und in den Strom. Nur verschwommen sah man die Lichter in der regengrauen Dämmerung vom Övelgönner Uferweg. Dort warfen die Schlepper die Trossen los und ließen zum Abschied ihre Sirenen heulen.
    Gegen 22 Uhr passierte das Schiff Glückstadt. Gottschalk stand allein auf dem Bootsdeck. Der Regen war stärker geworden, auch ein leichter Nordwest war aufgekommen. Gottschalk konnte in der durchregneten Dunkelheit lediglich das Leuchtfeuer von Glückstadt erkennen. Irgendwo in dieser Richtung standen seine Eltern auf dem Deich, mit weißen Bettlaken. Wahrscheinlich würden sie nicht einmal die Lichter des Dampfers erkennen können.

    Während der Überfahrt mußte Gottschalk sich eine Kabine mit dem Oberarzt Doktor Haring und dem Unterveterinär Wenstrup teilen. Oberarzt Haring hatte, gleich nachdem der Steward ihm das Bett zugewiesen hatte, ein Bild auf den einzigen Tisch in der Kabine gestellt. Die Fotografie zeigte –

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