Morgen wirst Du frei sein (German Edition)
das Töten weckte, wie ich sie bei anderen beobachtete. Im Gegenteil. Die Pirsch, das Ansitzen und Beobachten, die Hege während des Winters liebte ich. Die Gewissheit aber, dass der Schuss fallen, das Reh zusammenbrechen und ein Leben beendet sein würde, machte mich traurig.
Sobald das Lebewesen zu Fleisch wurde, waren meine Skrupel verflogen. Eifrig half ich beim Häuten, Ausweiden, Zerteilen. Ich hatte mir eine eigene Technik angeeignet, für die mir die Jäger der Nachbarreviere Respekt zollten. Saßen sie nach einer Treibjagd in der Hütte und stießen mit dem obligatorischen Schnaps an, nahm ich mich ihrer Beute an.
Heute lagerten die Flinten und Messer meines Vaters auf dem Dachboden. Ich hatte nach seinem Tod an keiner Jagd mehr teilgenommen, obwohl ich oft eingeladen worden war.
Ich stand auf und ging ins Haus.
Im Flur blieb ich unter der Dachluke stehen. Die Stange, mit der man sie öffnen konnte, lag auf dem Schrank. Ich fädelte den Haken in die Öse, zog kräftig an. Die Klappe öffnete sich. Ich klappte die Leiter aus, schaltete das Licht an und stieg hinauf.
Oben angekommen, orientierte ich mich. Ich war Jahre nicht mehr hier gewesen. Staub und Spinnweben hatten Kisten und Schachteln zugedeckt. Es war düster, warm und stickig. Ich hustete. Eine große Spinne rannte über einen Holzbalken.
Da war er, Vaters metallener Flintenschrank, daneben die Holzkiste, in der er seine Jagdutensilien aufbewahrt hatte. Ich öffnete sie. Obenauf lag das abgegriffene Lederfutteral mit den Messern. Ich nahm es, warf den Deckel zu und kletterte rasch die Leiter hinab.
Im Flur holte ich tief Luft und wandte mich zur Küche.
Minutenlang stand ich da.
Sie lag vor mir, nicht anders als früher die Rehe und Wildschweine, die mein Vater geschossen hatte. Noch immer war wenig Blut zu sehen, lediglich vor dem Herd ein verschmierter Streifen, dort, wo ich ausgerutscht war. Die Flecken auf dem weißen Bademantel waren nicht rot, sondern braun, fast wie die Decke, die halb über der Leiche lag.
Ich öffnete das Mäppchen mit den Jagdmessern und prüfte den Inhalt. Alles war an seinem Platz. Sauber und scharf.
Einsatzbereit.
Ich zog die vom häufigen Schleifen schmal gewordene Klinge heraus, die ich früher zum Ausbeinen von Wildschweinen verwendete hatte. Wog sie in der Hand. Ging in die Knie, zog die Decke von den blassen Schenkeln meiner Mutter, schob den Bademantel zur Seite.
Es würde genügen, die Beine an den Hüften abzutrennen. Der Körper könnte Platz finden im Kofferraum. Es würde einiges an Kraftaufwand beim Verladen bedeuten, doch das traute ich mir körperlich durchaus zu.
Ich schob das Nachthemd höher.
Noch ein Stück.
Meine Mutter war gewalttätig gewesen. Ich, der Germanist, fand keinen passenderen Ausdruck dafür; kein Attribut beschrieb sie treffender.
Sie schlug mich niemals. Sie redete. Viel und, meinem Gefühl nach, ständig. Sie brachte meine Ohren zum Summen und meinen Kopf an die Grenze seiner Kapazität. Ich konnte körperlich schon als 15-Jähriger auf meine Mutter hinunterschauen, doch das änderte nichts daran, dass ich mir neben ihr wie ein Zwerg vorkam. Und ich wurde kleiner und kleiner. Eines Tages, so stellte ich es mir vor, verschwände ich in einer Ritze im Dielenboden.
Sie fällte Urteile und ließ sie krachend auf mich herunterfallen wie eine Guillotine ihr Messer. Sie pflegte sich in meinem Zimmer vor mir aufzubauen und schier endlose Monologe zu führen. Ich war zum Zuhören verurteilt. Für Widerworte fand ich keinen Raum. Bekam ich eine der seltenen Gelegenheiten, mich zu rechtfertigen, erzielten meine Argumente kaum mehr als den Effekt, dass sich ihr Erregungszustand steigerte. Die nächsten Minuten spielten sich dann um eine Oktave höher und um einige Dezibel lauter ab.
So lauschte ich ergeben dem, was sie mir zu verkünden hatte. Oder ich schaltete ab und ließ meine Gedanken wandern.
Mein Vater verließ wortlos das Haus, wenn sich meine Mutter in Rage redete. Ich hatte diese Möglichkeit nicht, niemals. Ich hasste meinen Vater dafür, dass er mich ihr auslieferte, diesem Wortschwall, der auch ihn anging.
Ich schwieg und ertrug.
Nun hockte ich vor ihr, das Messer in der rechten, den Stoff ihres Nachthemds in der linken Hand. Tränen und Rotz liefen mir übers Gesicht.
Es ging nicht. Ich konnte das nicht. Sie würde mich umbringen. Dass sie tot war, änderte kein bisschen an meiner Angst vor ihr.
Ich ließ Nachthemd und Messer fallen,
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