Morgen wirst Du frei sein (German Edition)
der in meinem Schädel bohrte und dröhnte.
Ich hatte meine Mutter getötet. Und sie im Moor begraben. Nein, versenkt. Entsorgt. Ich, der ewige Versager, der Feigling, der Rückgratlose, derjenige, der immer kuschte.
Stolz breitete sich in mir wie warme Suppe aus. Das erste Mal hatte ich etwas getan, das Spuren hinterlassen würde. Bis zu diesem Zeitpunkt war ich die Wege der anderen gegangen, vorgezeichnete Pfade ohne Gabelung. Ich war hinterhergetrottet. Jetzt aber war ein neuer Weg aufgetaucht. Ich selbst hatte ihn geschaffen.
Ich drehte mich auf den Rücken und spürte ungekannte Energie durch meinen Körper fließen.
Ich grinste.
Daran, dass die Leiche im Moor gefunden werden könnte, dachte ich nicht. Ebenso wenig daran, wie ich das Verschwinden meiner Mutter erklären würde, käme jemand auf die Idee, mich nach ihr zu fragen.
Ich stand auf, zog das Bett ab und stopfte meine Kleidung zusammen mit dem vom nassen Dreck meiner Hose verkrustete Bettzeug in die Waschmaschine. Kippte Waschmittel in die Trommel und drückte mehrere Knöpfe, bis ich Wasser einlaufen hörte. Ich duschte ausgiebig, rasierte mich, putzte sorgfältig meine Zähne. Nackt ging ich zurück in mein Zimmer, zog mich an. Dann betrat ich die Küche.
Gestern war nicht viel Blut zu sehen gewesen, einige Tropfen nur, eine handtellergroße Pfütze, ein verschmierter Streifen. Heute war es überall: auf dem Boden, an den Küchenfronten, an der Tür, am Türrahmen befanden sich Spritzer, Fußspuren, Fingerabdrücke. Das Messer war unter den Tisch gerutscht, ein Stuhl war umgekippt, der andere stand auf dem Tisch.
Ich schüttelte mich vor Ekel.
Eimer und Putzlappen fand ich im Schrank. Während Wasser in den Eimer lief, studierte ich die Etiketten der verschiedenen Putzmittel und mischte dann doch alles zusammen.
Erst als keine Spur meines Verbrechens mehr zu sehen war und sich auch das Messer gesäubert wieder an seinem Platz befand, ließ ich mich auf einen Stuhl fallen und atmete tief durch.
Später hängte ich die Wäsche zum Trocknen in den Garten, spritzte die Plane, in der ich meine Mutter transportiert hatte, mit dem Wasserschlauch ab, schmierte mir ein Brot, kochte Kaffee und leerte den überquellenden Briefkasten, der am Gartentor hing.
Erschöpft setzte ich mich mit meiner Tasse auf die Stufe vor der Haustüre und sortierte die Post. Zeitungen legte ich zu meiner Rechten ab, Briefe kamen nach links, Werbung warf ich auf den Boden. Ein Stück Papier erregte meine Aufmerksamkeit. Er war mit rotem, dickem Filzstift beschrieben.
»Morgen wirst du frei sein« stand da in ordentlichen, leicht geschwungenen Lettern.
Ratlos legte ich den Zettel auf den Stapel mit den Briefen und wandte mich den Zeitungen zu. Die älteste war vom 3. September, die heutige vom 5. September. Mittwoch.
Ich hatte Mühe, die Chronologie der Ereignisse zu rekapitulieren. Es musste Sonntag gewesen sein, als meine Mutter und ich es uns vor dem Fernseher bequem gemacht und auf eine weitere Folge des »Tatort« gefreut hatten. Waren tatsächlich bereits drei Tage vergangen? Hatte ich den Dienstag völlig verschlafen?
Ich blätterte in den Zeitungen, ohne eine Zeile zu erfassen. Dann stand ich auf und ging in das Haus, in dem ich nun alleine lebte.
Ich schlenderte durch die Räume, nahm sie erstmals bewusst wahr. Braun und Beige waren die Farben, die dominierten. Jahrzehntelang hatten meine Eltern kaum Veränderungen vorgenommen. Ich konnte mich weder an eine andere Couch erinnern noch an andere als die wuchtigen, eichenen Vitrinen. Die Blumentapete aus den Siebzigern war weißer Raufaser gewichen. Mittlerweile aber hatte diese eine undefinierbare Patina angenommen, in der Nähe des Holzofens und an den Fenstern und Ecken dunkler, zwischen Sofa und Schrank heller.
Den Holzboden bedeckte ein mehrere Quadratmeter einnehmender Perserteppich, ein Erbstück, das bereits einige Vorbesitzer hatte. Meine Mutter erwähnte häufig seinen Wert, was ihn in meinen Augen nicht attraktiver machte.
Die Küche war kurz vor dem Tod meines Vaters renoviert worden. Weiße Fronten, eine Arbeitsplatte aus Buche und helle Fliesen an den Wänden und am Boden ließen den Raum größer erscheinen, als er war. An der Wand hingen gerahmte Kritzeleien eines Kindes. Es waren meine Zeichnungen, an deren Erstellung ich mich allerdings nicht erinnern kann.
Das Bad bot einen erschreckenden Anblick. Risse in der grauen Decke, angeschlagene Keramikbecken, verkalkte und
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