Morgen wirst du sterben
mehr Pommes, Pizza und Tiefkühlgerichte, dachte sie. Junkfood gehörte der Vergangenheit an, genau wie ihre Mutter.
Als es klingelte, schreckte sie zusammen. Marianne, dachte sie.
Es war aber ein junger Mann, den sie noch nie gesehen hatte. Dreckige Jeans, verwaschenes T-Shirt, Zottelhaare, ein ungepflegter Fünftagebart. Was wollte der denn hier? Betteln?
»Ich hoffe, ich störe nicht«, sagte der Typ. »Ich bin gerade in die Wohnung im Erdgeschoss eingezogen.«
Also wirklich, dachte Julie. Was wohnten denn hier für Leute im Haus?
»Was gibt’s denn?«
»Ich wollte mal fragen, ob du mir vielleicht eine Rohrzange leihen kannst.«
»Tut mir leid. Mein Werkzeug ist irgendwo verpackt. Ich bin nämlich auch gerade erst eingezogen.«
»Wirklich? Das ist ja ein Zufall!« Der Mann streckte ihr seine Hand hin. »Christian.«
»Hi.« Julie zögerte einen Moment, da fiel es ihm selbst auf, dass seine Hand total dreckig war.
»Sorry.« Er wischte sie betreten an seiner Jeans ab. »Ich installiere gerade meine Küche. Ein Albtraum, sag ich dir.«
Julie lachte. »Das mit der Küche steht mir noch bevor.« Eigentlich sah der Typ ganz nett aus. Ein bisschen heruntergekommen, aber wenn er den ganzen Tag in der Küche gearbeitet hatte … Immerhin schien er handwerklich geschickt zu sein. Das könnte unter Umständen ganz praktisch sein, dachte Julie.
»Also, mit der Zange wird’s schwierig, wie gesagt. Aber wenn ich dir einen Kaffee anbieten kann …?«
»Gerne!« Ein strahlendes Lächeln. Zumindest seine Zähne waren weiß.
»Ist aber nur Nescafé.«
»Meine Lieblingsmarke.«
Sie machte ihm auch eine Tasse, dann standen sie gemeinsam vor dem Küchenfenster und hielten sich an ihren Bechern fest.
»Und?«, fragte Christian. »Woher kommst du?«
»Lohbrügge«, erklärte Julie.
»Wo liegt das denn?«
»Hier in Hamburg. Aber weiter draußen. Muss man nicht kennen. Wirklich nicht.«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich kenn mich in Hamburg überhaupt nicht aus. Ich komme aus dem Rheinland. Bonn.«
»Da war ich noch nie.«
»Muss man auch nicht kennen.« Er nahm einen Schluck Kaffee und verzog das Gesicht.
»So schlimm?«, fragte Julie.
»Nee. Zu heiß.«
»Ich bin übrigens Julie.«
»Schön hast du’s hier, Julie. Meine Wohnung ist viel kleiner und dunkler.«
»Danke. Ich bin auch sehr zufrieden. Hab ziemlich lange danach gesucht.«
»Hat sich gelohnt. Ich hatte kaum Zeit zum Suchen. Vor drei Wochen hab ich den Vertrag unterschrieben, am Montag fange ich an. Ich war froh, dass ich auf die Schnelle überhaupt noch eine Wohnung gekriegt habe.«
»Was machst du denn? Beruflich, meine ich.«
»Ich bin Erzieher. Ich arbeite in einem Jugendzentrum. In Hamburg-Veddel.«
»Oje.«
Christian lachte. »Was soll das denn heißen?«
»Veddel ist nicht gerade die beste Gegend.«
»Ach so. Ich dachte schon, du magst keine Erzieher.«
Bingo, dachte Julie und nahm schnell noch einen Schluck Kaffee.
»Und was machst du? Studentin, oder?«
»Ab September.«
»Und was studierst du?«
»Schauspielschule.«
»Was, echt? Wow! Ist doch irre schwer, da reinzukommen, oder?«
»Das kannst du laut sagen.«
Von neunhundert Bewerbern wurden gerade einmal acht angenommen. Und Julie war eine davon. Die meisten hatten sich schon an zig anderen Schulen beworben: München, Stuttgart, Wien, Berlin. Julie hatte es nur einmal versucht und war gleich akzeptiert worden. Sie hatte sich nicht einmal richtig vorbereitet.
Im Gegensatz zu Valerie, die monatelang gebüffelt und geübt hatte. Valerie. Ihr wütendes Gesicht tauchte plötzlich in Julies Erinnerung auf. Sie war ausgerastet, als sie erfahren hatte, dass Julie den Platz bekommen hatte.
»Wie konntest du mir das antun?«, hatte sie geschrien. »Du Verräterin! Ich hasse dich!«
Seitdem herrschte Funkstille. Zu Julies Abschiedsparty war Valerie nicht erschienen, natürlich hatte sie auch nicht beim Umzug mitgeholfen.
»Und jetzt studierst du schon mal die ersten Rollen?«, fragte Christian.
»Quatsch. Ich hab ganz andere Sorgen.«
»Und welche?«
»Morgen wird meine Küche geliefert. Ich hoffe, ich krieg sie aufgebaut. Ich meine, ich hab vorher alles genau ausgemessen und geplant, aber oft passt es dann doch nicht richtig rein …«
»Willst du das etwa selbst machen?«, fragte Christian entgeistert. »Puh, da hast du dir aber ganz schön was vorgenommen.«
»Meinst du? Vielleicht leiste ich mir dann doch lieber einen Monteur.« Sie nagte an ihrer Unterlippe und
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