Morgen wirst du sterben
können. Sophias Blick fiel auf die Postkarte, die sie über ihrem Schreibtisch an die Wand gepinnt hatte. Marilyn Monroe. Kleidergröße 38, nicht 42. Voll fett, hörte sie Britta wieder sagen. Sophia reckte sich, riss die Karte ab und warf sie in den Papierkorb. Dann schaltete sie ihren Computer an. »Felix«, tippte sie in die Google-Suchleiste. Und löschte die Buchstaben wieder. Sinnlos. Sie kannte ja noch nicht einmal seinen Nachnamen.
Pling! Ihr E-Mail-Programm zeigte sieben ungelesene Nachrichten an. Sophias Herz begann zu galoppieren. Vielleicht hatte Felix eine Mail geschickt. Daran hatte sie bisher noch gar nicht gedacht. Dabei war der Gedanke naheliegend. Moritz’ und Sophias E-Mail-Adressen unterschieden sich nur durch den Vornamen. Wenn Felix die eine kannte, kannte er auch die andere.
Sie öffnete den Posteingang. Werbung, Werbung, Werbung. Eine Nachricht vom Leiter des Schulchors mit den neuen Probeterminen. Zwei Freundschaftsanfragen für Facebook. Eine Mail ohne Betreff. Und ohne Absender. Spam, dachte Sophia. Oder eine Nachricht von Felix. Obwohl es natürlich keinen Grund für ihn gab, ihr eine anonyme Nachricht zu schicken. Ihre Finger zitterten dennoch so, dass sie dreimal auf die Mail klicken musste, bis sie sich endlich öffnete.
Sie hatte plötzlich das Gefühl, dass Felix neben ihr saß und sie ansah, den Kopf ein bisschen schief gelegt, und wieder füllte sich ihr ganzer Körper mit Wärme. Dann las sie die Nachricht. Einmal. Zweimal. Dreimal. Und verstand sie nicht. Und las sie noch einmal und endlich drangen die Worte in ihren Verstand vor. Jetzt war ihr nicht mehr warm, jetzt war ihr auf einmal kalt, so kalt, dass sie zitterte.
Es ging um Sarah, das war ihr klar. Um Sarah und das, was sie ihr angetan hatten. Aber ich war das doch gar nicht!, dachte Sophia. Emily hatte sich das Ganze ausgedacht. Die anderen hatten mitgemacht. Alle, auch Sophia. Und wer immer ihr die Mail geschickt hatte, wusste Bescheid.
K omm jetzt endlich essen!, schreit Mama. Sie hat den Tisch gedeckt, drei Teller, drei Gläser und Besteck, aber nur auf einem Teller liegt ein Leberwurstbrot, und in einem Glas ist Saft, das ist für mich.
Mama und Dad essen das Essen, das Dad mitbringt, denn Dad braucht nach der Arbeit was Ordentliches, aber Mama kann nicht kochen. Sie kann nicht kochen, weil sie nicht kochen können will. Einmal hat sie Kartoffelbrei mit Würstchen gemacht, der Kartoffelbrei ist total verbrannt und die Würstchen sind geplatzt. Damals wohnten wir noch im alten Haus, aber daran will ich nicht denken. Es lässt sich aber nicht aufhalten. Wenn das alte Haus einmal in meinem Kopf ist, dann geht es nicht mehr raus. Dann muss ich weiterdenken, wie Papa Mama angebrüllt und den Kartoffelbrei mitsamt dem Topf in den Müll geschmissen hat und die Würstchen hinterher, und Mama hat gelacht, da hat er ihr eine geschmiert, aber wie. Aber Mama hat einfach weitergelacht, obwohl ihre Nase geblutet hat, die hat keine Angst gehabt, aber ich schon.
Ich presse mein Gesicht an die Tür, so fest, dass meine Stirn wehtut, so drücke ich die Gedanken an Papa nach hinten, bis sie irgendwo in meinem Kopf verschwinden. Ich schaue durch den Türspion ins Treppenhaus und sehe die Topfpflanze und die Coladose. Die Fliege ist nicht mehr da und Dad auch nicht.
Wenn Dad kommt, muss er erst mal essen, und dann trinkt er ein Glas Wein mit Mama, und dann spielt er mit mir. Wir bauen eine Fabrik aus Lego. Eine Wunschverwirklichungsfabrik, sagt Dad. Vorne steckt man einen Wunsch rein, dann läuft er über ein Fließband in eine Maschine, und hinten kommt dann genau das raus, was man sich gewünscht hat.
Aber so was gibt’s nicht in echt, sondern nur im Spiel, sonst hätte ich meine eigenen Wünsche schon längst in die Wunschfabrik gebracht. Dann würde Dad nicht mehr aufstehen und sagen: So, jetzt muss ich aber, und den Mantel anziehen. Dann würde er im Schlafzimmer neben Mama schlafen und morgens mit uns frühstücken und mich auch mal zur Schule bringen. Und vielleicht würde Sören mich dann in Ruhe lassen.
Komm jetzt essen!, sagt Mama. Aber sofort. Es ist schon sieben.
Ich steige von dem Schemel runter und will gerade weggehen, da höre ich ein Geräusch im Treppenhaus. Schnell wieder rauf auf den Schemel und rausgucken und da ist er da.
Er steht schon vor der Tür und klingelt. Ich kann sein Gesicht nicht sehen, nur seine Schulter, aber ich weiß, dass er lacht.
2
Julie machte die Wohnungstür zu und ließ ihre
Weitere Kostenlose Bücher