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Morituri - Die Todgeweihten

Titel: Morituri - Die Todgeweihten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allan Cole & Chris Bunch
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diese Gegend, vier gewaltige Seen, die wie an einer Kette hintereinander aufgereiht lagen. Dort oben wehte immer ein scharfer, kalter Wind. Auf der Erde lag tiefer Schnee, der auch die Bäume des Waldes während vieler Monate des Jahres niederbeugte. Er fühlte sich jedoch sehr stark zu diesem Ort hingezogen – offensichtlich ebenso wie die fleischfressenden Pflanzen, die in dem nasskalten Klima prächtig gediehen.
    Sten hatte am Ufer eines der Seen eine Gruppe kuppelförmiger Gebäude im Grenzlandstil errichtet. Eines davon diente als Küche und Speisekammer, wo er sein Essen lagerte und zubereitete, gelegentlich Wild schlachtete oder die seltsamen, torpedoförmigen, aber sehr schmackhaften Seebewohner ausnahm. In den hydroponischen Becken, die eine ganze Seite des Gebäudes einnahmen, zog er Gemüse. Die zweite Kuppel beherbergte seine Werkstatt; sie war mit Werkzeugen und Baumaterial aller Art voll gestopft. Dort bewahrte er auch seine Waffen auf, an denen er gelegentlich herumbastelte, ebenso wie die Abhörgeräte, mit denen er ständig spielte. In der letzten Kuppel befanden sich seine Wohnräume und sein Trainingsraum. Er verbrachte viele Stunden im Trainingsraum und draußen in der Kälte, wo er endlos seine Mantis-Fertigkeiten trainierte und vervollkommnete.
    Die Wände seiner Wohnräume kleidete er mit echtem Holz aus seinem eigenen Wald aus. Er baute Schlafstätten und Vitrinen und alle möglichen anderen Dinge aus dem gleichen Material. Als er damit fertig war, sah alles so gemütlich aus, dass er sehr zufrieden mit sich war. Und doch schien etwas zu fehlen. Er brachte sein Gedächtnis auf Touren, bis er plötzlich eine Spur gefunden hatte. »Aha! Hier muss unbedingt noch ein Kamin hin.« Nach mehreren qualmigen und qualvollen Versuchen hatte er den Bogen raus. Der Kamin war groß; groß genug, um zwei Meter lange Stämme aufzunehmen. Er zog verflucht gut und entfachte eine herrliche, lustig prasselnde Glut.
    Eine Frau, die ihm einige Monate Gesellschaft leistete, gestand ihm, dass es sie an etwas erinnerte, auf das sie sich nicht mehr besinnen konnte. Daraufhin hatte Sten sie bedrängt, doch alles, was in ihrem Bewusstsein aufstieg, war ein Gegenstand in einem Laden, in dem »Schnäppchen« verkauft wurden. Dem Ton ihrer Stimme konnte Sten entnehmen, dass sie damit kitschige und geschmacklose Dinge meinte.
    Er fühlte sich so einsam, dass er nicht näher darauf einging.
    Ungefähr eine Woche später kam er von einem Ausflug aus dem Wald zurück. Es war ein herrlicher grauer Tag, vom Himmel rieselte leichter Schneefall durch die Bäume.
    Sten freute sich auf die Kuppel, und die Frau öffnete die Tür, um ihn zu begrüßen. Sie stand in der Tür wie in einem Bilderrahmen, ihre Gestalt zeichnete sich vor dem flackernden Kaminfeuer ab, das das Zimmer hinter ihr beleuchtete. In diesem Moment fiel Sten ein, was er die ganze Zeit über im Hinterkopf gehabt hatte. Jetzt erinnerte er sich ganz genau daran.
    Vor sehr langer Zeit hatte seine Mutter ihren Arbeitsvertrag um sechs Monate verlängert, um ein Muraliv zu kaufen. Das Mädchen vom Lande, das in der Fabrikwelt von Vulcan so völlig verloren und fehl am Platze war, hatte ein halbes Jahr ihres Lebens für etwas hingegeben, das sie für ein Kunstwerk hielt.
    Es zeigte eine verschneite Landschaft auf einem Siedlungsplaneten. Er erinnerte sich, wie der Schnee auf die kleine Ansammlung von Kuppeln niederrieselte, und an die Tür, die stets offen stand, um die vom Feld oder aus dem Wald zurückkehrenden Arbeiter zu begrüßen, und an das helle, lustig auflodernde Kaminfeuer, das den Raum hinter der Tür warm und hell erleuchtete. Das Wandbild war der wertvollste Schatz seiner Mutter gewesen.
    Sten hatte ganz unbewußt das Muraliv seiner Mutter neu erschaffen.
    Er murmelte einige Entschuldigungen und drängte die Frau dazu, ihn und den Planeten zu verlassen. Es war kindisch, sie für etwas verantwortlich zu machen, von dessen Existenz sie nichts wusste, aber er konnte sie nicht mehr länger um sich ertragen.
    Damals war er an seinem absoluten Tiefpunkt angekommen. Mehrere Monate lang kratzte er die Wunde immer wieder auf. Er musste nicht extra bei der Walross-Psychologin Rykor um Rat fragen. Sten wusste genau, was er da tat. Trotzdem hörte er nicht auf damit. Er nannte sogar die vier Seen nach seinen vor langer Zeit verstorbenen Familienmitgliedern.
    Den größten See, an dem die Wohnkuppeln dichtgedrängt beieinander standen, nannte er Amos, nach seinem Vater.

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