Mrs. Pollifax macht Urlaub
Ort und fuhren wieder über Land.
Bald konnten sie die riesige Burg in der Ferne erkennen, die sich Terrasse um Terrasse, oder vielmehr Reihe über Reihe aus ihrem Felsbett erhob eine gewaltige Festung, die in den letzten
Jahren zum Teil restauriert worden war.
»Es gibt hier auch ein Museum, aber es ist heute
geschlossen«, erklärte Josef, als er im Schatten parkte. »Es ist
früh, noch keine Reisebusse. Um wieviel Uhr erwarten Sie Ihren
Freund, Mr. Farrell?«
Farrell und Mrs. Pollifax wechselten einen Blick.
Farrell antwortete scheinbar gleichgültig: »Zu keiner
bestimmten Zeit, Josef, irgendwann am Vormittag. Wie ich
schon erwähnte, steht auch der Tag noch nicht fest, und wir
müssen vielleicht morgen wieder hierherkommen.«
Josef nickte, aber er war sichtlich etwas verwirrt. »Ja,
natürlich«, murmelte er. »Ich verstehe.«
Mrs. Pollifax hoffte, daß er nicht zu viel verstand, und
wechselte rasch das Thema, indem sie fragte: »Was haben Sie
da in der Hand? Mehr über die Geschichte der Festung?« »Das? Oh, ja, ich dachte, es würde Sie vielleicht interessieren.
Bilder, was die Männer trugen. Fotokopien«, fügte er verlegen
hinzu, »aus einem Buch der Universitätsbibliothek.«
Er ist wirklich ein sehr gewissenhafter Führer, dachte sie und
streckte die Hand aus. Er verteilte die Seiten an sie beide, und
sie lehnten sich an den Wagen, um sie zu betrachten. »Großer
Gott!« entfuhr es Mrs. Pollifax, deren Blick von den Männern in
Rüstung zum Text darunter wanderte. »Da braucht man ja ein
völlig neues Vokabular! ›Der linke Ritter trägt bewegliche
Stahlplatten über einem gefutterten Wams sowie eine Halsberge
und eine aus Stahlplatten gearbeitete Helmglocke, ein Armet.« Farrell grinste. »Und ich habe hier ›eine metallene Beinröhre
mit Kniebuckel und Dichling sowie eine Unterarmröhre mit
Armkachel und Armzeug über einem gekürzten anliegenden
Wams, dazu Hentze genannte Rüsthandschuhe und Sporen mit
Drehrädchen‹.«
Verschmitzt erklärte Josef, daß er sich besonders für Küriß
und Schallern des fünfzehnten Jahrhunderts interessiere. »Ich
werde sie Ihnen heute nachmittag im Museum in Amman
zeigen, aber ich dachte - ich dachte, Sie möchten sie sich
vielleicht hier vorstellen.«
Mrs. Pollifax nickte. »O ja, das kann man sich hier bestimmt
gut ausmalen.«
Josef führte sie in die Festung. »Wir gehen jetzt durch die
schmale Öffnung. Als erstes werden Sie die Stallungen für die
Streitrosse sehen. Es geht hinunter - seien Sie vorsichtig!« Es
war dunkel und klamm und roch nach Staub und Alter, als trete
man in eine Gruft.
»Machen wir es kurz«, bestimmte Farrell. »Ich bezweifle, daß
mein Freund - falls er schon heute kommt - mich in den
Stallungen suchen wird.«
Sie schritten über unebenen Boden eine Reihe niedriger
Boxen entlang, dann führte Josef sie abgetretene Steinstufen
hinauf, wo sie sich an den Händen fassen mußten, um in der
Finsternis nicht zu stolpern. Sie spähten in winzige Räume, in
die nur durch schmale Schlitze ein wenig Tageslicht fiel; sie
stiegen treppauf, treppab und gelangten dann in eine riesige
Halle mit einem Boden aus festgestampfter Erde.
»Mit einem Loch in der Mitte, durch das... Nun«, fuhr Josef
grinsend fort, »es ist ein Toilettenloch.« Endlich brachte er sie
wieder ins Freie, und zwar auf einen gefährlichen
Felsvorsprung, ohne jegliche Mauer. »Von hier«, erklärte er,
»wurden Gefangene in die Tiefe geworfen.«
Mrs. Pollifax schüttelte sich, trat aber so nahe an den Rand,
wie sie nur wagte. Sie blickte hinunter, und es ging sehr, sehr
tief hinab. »Wie schrecklich!«
Farrell sah aus, als wäre ihm ein wenig übel. »Bestimmt gibt
es eine angenehmere Stelle, von der aus man die Landschaft
genießen und nach meinem Freund Ausschau halten kann.« Josef lächelte. »Selbstverständlich. Ich bringe Sie dort hin.« »Hier ist es schon viel besser«, lobte Mrs. Pollifax, als sie zu
einem breiten Felssims mit niedriger Brüstung kamen und sie
tief unten ein Panorama brauner, von Straßen und grünen
Fleckchen durchzogener Hügel sah. Von hier konnten sie auch
zum Parkplatz und dem Eingang hinunterschauen. Die Sonne
schien, und ein angenehmes Lüftchen zauste ihr Haar. »Ein
schöner Platz, um den Vormittag zu verbringen.« Sie blickte von
der Erde zum Himmel; dann drehte sie sich um und schaute die
Felswand mit ihren schmalen Fensterschlitzen hinauf. Es fiel ihr
schwer, sich vorzustellen, daß Menschen in einem so trostlosen
und düsteren Grabmal von
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