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Muckefuck

Muckefuck

Titel: Muckefuck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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herbeizuholen.
    Dies geschah. Günther H. sah sich bereits mit Handschellen gefesselt, als er aus seiner Bewusstlosigkeit erwachte. Er wurde in polizeilichen Gewahrsam überführt und wird sich wegen Überfalls und versuchten Straßenraubes zu verantworten haben.
    Ich malte hinter der Hybride von Coleus schwierig zu meisternde B-s ins Schreibheft, da sah ich mich aus knisternden Zeitungsvorhängen von spitzer Mutterstimme zur Rede gestellt. Minnamarthas Augen, brillenbewehrt, blitzeschleudernd durch Linsenschliff für drei Dioptrien links und zwei rechts, richteten sich auf mich, wozu die Zeitungsblätter mittels halbem Armstreck gesenkt wurden. Dann appellierte Minnamartha scharf:
    »Menschlein!«
    Das Kind wand sich auf der glattledernen Sitzfläche eines zu großen Armstuhls. Zog seine während der Schreibarbeit vorgestreckte Zungenspitze ein. Zögerte, ob er seine Selbstständigkeit noch drei Sekunden lang ertrotzen sollte, indem er das soeben durch Senkrechtstrich begonnene B vollendete, und zwar durch Anfügung des oberen und unteren Rechtshalbbogens. Entschloss sich dann aber doch, zu antworten:
    »Ja Mami?«
    »Menschlein, ist nicht Harald Buseberg dein Freund?«
    »Och, nein. Er geht nur in meine Klasse.«
    »Aber gehst du nicht manchmal zu ihm? Hinten in die Kolonie?«
    Ich erwog blitzschnell alle infrage kommenden Möglichkeiten, auf die mütterliches Verhör vielleicht zielte. Hatte Minnamartha von der Holzhand erfahren? Vom Pudding, der in Schokoladentunke platschte? Oder wusste sie etwa,dass ich Harald Geld gab? Wollte sie meine Besuche in der Laube vierzehn unterbinden?
    Ich entschloss mich, ungefähr zu bleiben:
    »Nur manchmal«, sagte ich »gehe ich hin. Wenn mir langweilig ist.«
    »Hier steht etwas in der Zeitung über seinen Vater.« Mutter legte eine Pause ein und funkelte wieder mit Augen und optischen Gläsern. Aber ich schwieg.
    »Er hat einen Räuber niedergeschlagen. Im Haselhölzchen. Wusstest du das denn nicht?«
    »Doch«, sagte ich. »Harald hat es erzählt.«
    Minnamartha schüttelte den Kopf. »Menschlein, ich verstehe dich nicht. So etwas berichtet man doch!« Staunen und Entrüstung lösten bei ihr einen Armreflex aus, die raschelnde Zeitungsbarrikade fuhr wieder bis auf Leseabstand vor ihr Gesicht, verdeckte es mit Ausnahme der Stirn und der oberen Lesebrillenränder. Ich, übers »Menschlein« erbost, nervös wegen gewaltiger, soeben überstandener Gefahren, hatte mich gerade wieder der Vollendung meines B-s zugewendet, als ich Minnamarthas Schlusskommentar hörte, mit dem ich sonst gewohnheitsmäßig rechnete:
    »Ich möchte wissen, ob du mir überhaupt etwas erzählst!«
    Ich tat es nie.
    Patzig stach ich die zweite, untere B-Schleife ins Heft. Dann tat ich nur noch so, als ob ich schriebe.
    Denn übrigens wurmte es mich, dass Harald den Handschnürpreis auf zehn Pfennige erhöht, also verdoppelt hatte! Und es war schwierig, diese Summe aufzubringen. Der Buseberg-Etat war bisher von mir aus Quellen geschöpft worden, für die einigermaßen nervöse Mütter unbewusst sorgen. Kleine Münze zeigt sich bekanntlich an manchen Orten eher lästig, genau so, wie sie woandersdurch ihr Fehlen Peinliches verursachen kann, etwa in öffentlichen Bedürfnisanstalten. Lästig ist sie jedoch in den Jackentaschen der Männer, in Handtaschen, Brillenetuis oder Kammhülsen. Manche Frauen horten hier gehobene Geldfunde in Sparschweinen oder Sammeltassen. Nervöse Frauen jedoch, und dazu gehören fast immer Mütter, neigen dazu, so gefundene Kupfermünzen an mehreren, manchmal überraschenden Stellen zu sammeln, in Nähmaschinenschubladen etwa, oder in Knopfschachteln. So fällt es gewöhnlich nicht auf, wenn Kinder kleinere Nebenausgaben aus solchen Nestern bestreken.
    Nun aber vierzig Pfennige im Monat!
    Wütend warf ich die dicken Posthornstifte in ihren Holzkasten. »Ich bin fertig«, meldete ich, indem ich vom Stuhl rutschte. Die Mutter reagierte nicht. Brillenbewehrt nährte sie ihren Geist mit Tausenden von klitzekleinen Frakturbuchstaben.
    Jetzt konnte ich mich wieder mit Johann Buseberg, mit der Ledermanschette an hölzerner Hand und den damit zusammenhängenden Finanzierungsfragen beschäftigen. Haralds weiße Hände lauerten klebrig, den Obolus jeweils einzukassieren, ein kleines Säulchen Münzen meistens, bestehend aus Ein- und Zweipfennigstücken, zusammengeklaubt aus Minnamarthas Nestern. Doch, wie ich vorausgesehen hatte, wurde es immer schwieriger, die Woche für Woche geforderten

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