Die Botin des Koenigs reiter2
TAGEBUCH DES HADRIAX EL FEX
Wir segeln in die Nacht. Der Wind ist uns nun endlich freundlicher gesinnt und stark genug, dass wir schneller vorankommen als unter Rudern. Auf diese Weise können wir kostbare Ethera sparen, und die Handwerker haben Zeit, die Maschinen zu reparieren.
Zunächst war es verwirrend, nicht mehr das Stampfen der Maschinen zu hören, die ununterbrochen gedröhnt hatten, seit wir in See gestochen sind, aber nun habe ich es sehr gemütlich hier in meiner Kabine, wo nur das Knarren des Holzes ertönt und das sanfte Wiegen des Ozeans zu spüren ist. Es ist dunkel draußen, und es gibt nur noch mich, mein Tagebuch und ein Prisma, um mir zu leuchten.
Der Kontinent, den wir suchen, ist immer noch weit entfernt, sagt Kapitän Verano. Alessandros ist ausgesprochen unruhig und klettert jeden Tag in den Mastkorb, als könne er das Neue Land herbeizwingen. Das hier ist immerhin seine Expedition, seine Suche nach einer Möglichkeit, Arcosia zu heilen, und zudem eine Gelegenheit, die Autorität des Kaiserreiches in einem neuen Land zu begründen.
Alessandros ist ein Sohn des Kaisers und von Gott auserwählt, ihm auf den Thron zu folgen. Ich weiß, dass er diese Expedition auch noch aus einem anderen Grund organisiert hat als aus denen, die wir bereits kennen: Er will sich mit diesem Erfolg vor Gott und dem Volk von Arcosia würdig
erweisen, gewiss, aber vor allem möchte er seinen geliebten Vater beeindrucken.
Es tut ihm gut, auf See zu sein. Seine Wangen sind rosig, und das Sonnenlicht glitzert in seinen Augen. Er ist wieder jung geworden, und ich kann seine Aufregung spüren. Das ist für uns beide ein großes Abenteuer. Seine Begeisterung ist tatsächlich so ansteckend, dass mein junger Knappe Renald, der uns heute Abend bedient hat, beinahe Wein auf uns vergoss, als er uns zuhörte. Alessandros hat nur gelacht. Renald ist die meiste Zeit ein guter Junge; manchmal kommt er mir wie ein jüngerer Bruder vor, und ich habe ihn sehr gern. Diese Reise wird ihn zum Mann machen.
Während zahllose Tage vergehen, beschäftige ich mich damit, die vagen Karten des Kontinents zu betrachten, die der Kapitän besitzt. Angeblich wird dieses Land von einem barbarischen Volk bewohnt, und es gibt Rohstoffe im Überfluss. Man darf solchen Berichten nicht immer trauen, da sie oft übertreiben. Dennoch, wir können es kaum erwarten zu sehen, was uns dieses geheimnisvolle Land bringen wird, und niemand ist aufgeregter als Alessandros del Mornhavon.
DER REITERRUF
Das weiche, andersweltliche Leuchten einer Erscheinung fiel auf die schlafende Gestalt in dem Himmelbett.
Schwüle Nachtluft, vermischt mit dem Geruch des Meeres, drang durch das weit offene Fenster herein und zupfte an den Laken, die die junge Frau bedeckten. Ihr langes braunes Haar fiel über das Kissen, und ihre Brust hob sich in langsamen, gleichmäßigen Atemzügen. Sie schlief, ohne ihren geisterhaften Besuch zu bemerken, vollkommen ruhig und entspannt.
Und genau das war das Problem.
Missbilligung flackerte über die rauchigen Züge der Erscheinung. Du kannst mich hören, aber du willst nicht, was?
Die Erscheinung berührte das Mädchen an der Schulter, als ob sie es wachrütteln wollte, aber ihre Hand ging einfach durch das Fleisch hindurch.
Kann mich nicht spüren. Kann mich nicht sehen. WILL mich nicht hören.
Das Mädchen hatte inzwischen sehr gut gelernt, den Ruf zu ignorieren, und wenn es etwas gab, das Lil Ambriodhe furchtbar in Rage brachte, dann war es, ignoriert zu werden.
Lil hatte ihrer Ansicht nach schon viel Geduld gehabt; sie hatte sich Zeit gelassen, bis die junge Frau ihre Ausbildung zu Ende gebracht hatte, weil sie annahm, das könnte nichts schaden, und weil sie hoffte, dass sie danach endlich den Ruf
hören und nach Sacor zurückkehren würde, um vor dem König ihren Schwur als Grüner Reiter zu leisten.
Aber das tat sie nicht. Sie ignorierte den Ruf und ging stattdessen nach Hause, nach Korsa, und wozu? Um Wollballen auf einem der elenden Packwagen ihres Vaters zu zählen? Um Hauptbücher zu führen? Was war daran schon interessant? Warum wehrte sie sich?
Lil lief auf und ab, bis sie bemerkte, dass ihre Füße den Boden nicht mehr berührten, sondern darüberschwebten. Bei allen fünf Höllen! Sie versuchte, sich auf den Boden zu konzentrieren, sodass sie zumindest die Illusion hervorrief, darauf zu stehen. Aber das kostete zu viel Energie. Sie verfluchte die Grenzen ihrer derzeitigen Gestalt und starrte wütend auf das
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