Mucksmäuschentot
Pornostar-Brüste zu verlieren.
Ich hatte seine Telefonnummer in Spanien und hätte beinahe angerufen – doch der Gedanke, sie könnte an den Apparat gehen, verursachte mir Übelkeit.
Dad gehörte nicht mehr zu meinem Leben.
6
Die stillschweigende Unterwerfung rettete mich nicht. Denn bald richteten meine »besten Freundinnen« ihre Aggressionen nicht mehr gegen meinen Besitz, sondern gegen mich selbst.
Zum ersten Mal passierte es nach der Mittagspause. Jane hielt mich an den Haaren fest, während Teresa und Emma mir ein Brötchen vorn in die Bluse stopften. Dann rangen sie mit mir, versuchten das Brötchen zu zerdrücken und die ganze Sache so ekelhaft wie möglich zu machen. Als ich es herausholen wollte, schlug Teresa mir mit aller Kraft ins Gesicht. Der laute Knall überraschte alle – selbst Teresa –, und ich könnte schwören, dass sie sich zuerst auch entschuldigen wollte. Dann aber verhärtete sich ihr Gesicht. Gierig griff sie nach meiner Hand und bog meine Finger nach hinten. Der Schmerz erstickte meine Schreie.
Danach war es leicht für sie. Danach wurde die körperliche Gewalt zur Norm.
Ich schrieb alles, was sie mir antaten, in mein Tagebuch. Nach der Schule saß ich in meinem Zimmer und hatte einen Stuhl unter die Türklinke geklemmt, damit Mum nicht überraschend hereinkommen konnte. Heute lesen sich diese Einträge sonderbar, und zwar nicht nur, weil sie verglichen mit dem, was an meinem 16 . Geburtstag – meinem persönlichen 11 . September – geschah, ziemlich banal wirken. Ich wundere mich, wie emotionslos diese Einträge klingen, so als hätte ich etwas beschrieben, das jemand anderem passierte. Im selben Tagebuch finden sich seitenweise emotionale Ergüsse über die Scheidung meiner Eltern, doch sobald das Mobbing anfängt, werden die Einträge immer kürzer und zurückhaltender, und mit wachsender Gewalt werden sie immer noch knapper und sachlicher – eine Welt des Leidens, reduziert auf prägnante Zitate, die Passionsgeschichte auf der Rückseite einer Streichholzschachtel.
Mai: Jane hat mich auf dem Weg zum Kunstunterricht über das Mäuerchen in eine Dornenhecke gestoßen … Emma hat mich Lesbe genannt und die Spangen aus meinen Haaren gerissen – mitsamt den Haaren … Emma hat ihr Feuerzeug vor mein Gesicht gehalten und gedroht, mich in Brand zu setzen …
Juni: Teresa wollte mir einen Pferdekuss verpassen. Sie traf nicht die richtige Stelle, und ich musste stillhalten, bis sie sie gefunden hatte. Habe einen riesigen blauen Fleck. Den darf Mum nicht sehen … Jane und Theresa haben einen meiner Schuhe hinter das IT -Gebäude geworfen. Als ich ihn wieder hatte, trat Teresa mir fest vors Schienbein. Bin fast ohnmächtig geworden … Teresa hat mir in Erdkunde einen Kompass in den Rücken gerammt. Ging auf die Toilette und hatte hinten Blut an der Unterhose …
Ich erkenne den schlafwandlerischen, hohlen Tonfall wieder, wenn ich im Fernsehen Opfer eines Erdrutsches oder einer Bombenexplosion sehe.
Es gab einen lauten Knall. Es gab eine Menge Rauch.
Je größer das Trauma, desto unzulänglicher die Worte, bis, so stelle ich es mir vor, irgendwann nur noch das Schweigen angemessen erscheint.
Doch in jenem Juni fand ich meine Stimme beinahe wieder. In jenem Juni hätte ich meine Lähmung fast abgeschüttelt und den Mund aufgemacht …
Die Schule war vorbei. Ich hatte Flötenunterricht, aber Teresa, Emma und Jane ließen mich nicht aus dem Klassenzimmer. Sie keilten mich hinter den Pulten ein, und als ich zur Tür laufen wollte, hielten sie mich fest und zogen mich aus dem Raum.
Jane nahm mich in den Schwitzkasten und versuchte, angefeuert von den anderen, meinen Kopf gegen die scharfe Metallkante der Fensterbank zu drücken. Ich weiß noch, dass ich mich unerwartet befreien konnte und zur Tür rannte, als mich etwas Schweres – ein dickes Physikbuch – mit solcher Gewalt im Rücken traf, dass ich mir auf die Zunge biss.
In diesem Augenblick kam Miss Briggs ins Klassenzimmer, und die Mädchen ließen rasch von mir ab und machten sich am Bücherregal zu schaffen. Miss Briggs holte einige Unterlagen und wollte schon gehen, als sie mich bemerkte – wie festgefroren und den Tränen nahe.
»Alles in Ordnung, Shelley?«, fragte sie.
Da hätte ich es beinahe gesagt. Beinahe hätte ich losgeschluchzt und wäre damit herausgeplatzt. Doch dann bemerkte ich Teresas Blick – kalt und erbarmungslos wie der eines Hais – und verlor den Mut.
»Ja, Miss.
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