Mucksmäuschentot
Obstbäume, sein Gemüsebeet und die beiden Schuppen vorführte. Es waren die saubersten und aufgeräumtesten Schuppen, die ich je gesehen hatte: Jedes Werkzeug hing an einem Haken – sogar die Gartenhandschuhe waren mit
Jerry
und
Sue
beschriftet. Er zeigte uns seinen stinkenden Komposthaufen und verkündete: »Das ist er – mein ganzer Stolz!« Dann führte er uns zu einer Reihe Zypressen, die er nach ihrem Einzug gepflanzt hatte. Die Bäume waren inzwischen über zehn Meter hoch, und während er sich über ihre gesunde Rinde ausließ, spähte ich argwöhnisch durchs dichte Laub. Dahinter erstreckten sich nur die endlosen fahlbraunen Furchen der Felder.
Auf seinen Vorgarten war Mr Jenkins besonders stolz. Der große Rasen, kurz geschnitten wie ein Bowlingplatz, wurde von zahllosen Pflanzen und Büschen eingefasst, die trotz der Jahreszeit noch vereinzelt bunte Farben trugen. »Es ist wichtig, ein paar Winterblüher zu setzen«, erklärte er Mum. »Dazu viele mehrjährige Pflanzen, sonst haben Sie im Winter keine Farbe.« Mum wollte das Thema wechseln und sagte, sie verstünde nicht viel von Gärtnerei, doch Mr Jenkins betrachtete es als Aufforderung, um diese Bildungslücke auf der Stelle zu schließen. Er setzte zu einem langen Vortrag über verschiedene Erdsorten an. »Diese Erde hier ist kalkhaltig. Sie ist ein bisschen trocken, ein bisschen
hungrig
. Sie braucht viel Stalldung, Gartenkompost, Torf …« Ich schlenderte davon, weil ich sein Gerede nicht länger ertragen konnte. »Laubkompost … Kunstdünger … Kalksteinschichten …« Einmal glaubte ich, »getrocknetes Blut« zu verstehen, aber das muss wohl ein Irrtum gewesen sein.
Ich ging weiter, wobei seine aufreizende Stimme zu einem dumpfen Murmeln verklang. Schließlich stieß ich auf ein großes, ovales Rosenbeet, das sich mitten auf dem Rasen befand. Die Rosen waren rücksichtslos beschnitten worden und reckten ihre amputierten Stümpfe protestierend zum Himmel. Das ganze Beet wirkte trostlos und erinnerte mit dem großen Haufen umgegrabener Erde an ein frisch angelegtes Grab.
Während ich die Blumen und Sträucher betrachtete, wurde mir klar, dass ich die meisten Namen nicht kannte. Wenn ich Schriftstellerin werden wollte, müsste ich daran arbeiten. Schriftsteller schienen immer die Namen von Blumen und Bäumen zu kennen; es ließ sie respekteinflößender klingen, irgendwie gottähnlicher. Ich beschloss, nach unserem Einzug (denn Mums verträumter Blick hatte mir verraten, dass dies unser neues Zuhause werden würde) die Namen sämtlicher Blumen und Bäume im Garten zu lernen – und zwar sowohl die volkstümlichen als auch die lateinischen Namen.
Als ich wieder zu Mum kam, konnte Mr Jenkins seine Neugier nicht länger zügeln.
»Was ist mit dir passiert, meine Liebe?«, fragte er und deutete vage auf mein vernarbtes Gesicht.
Mum zog mich instinktiv an sich und übernahm die Antwort.
»Shelley hatte einen Unfall. In der Schule.«
2
Mum kaufte Honeysuckle Cottage von dem Anteil, den sie bei der Scheidung erhalten hatte. Ihrem Mäuseanteil. Mein Dad – kaum zu glauben, aber er ist Anwalt für Familienrecht – hatte uns vor eineinhalb Jahren wegen seiner Sekretärin verlassen, die unglaubliche dreißig Jahre jünger ist als er, mit lüsternem Puppengesicht und Riesendekolletee. (Sie war nur zehn Jahre älter als ich! Wie sollte ich sie als meine
neue Mutter
betrachten?) Die Regelung von Finanzen und Sorgerecht hatte fast ein Jahr gedauert. Dad kämpfte gegen Mum, als wäre sie seine schlimmsten Feindin und nicht die Frau, mit der er achtzehn Jahre lang verheiratet gewesen war. Er versuchte, ihr alles wegzunehmen – sogar mich.
Mum gab in fast allen Punkten nach – sie gab das Recht auf einen Anteil an seiner Pension auf, sie gab das Recht auf Unterhalt auf, sie gab ihm sogar einige Geschenke zurück, die er ihr während der Ehe gekauft hatte und nun kleinlich zurückforderte, doch sie weigerte sich, mich aufzugeben. Das Gericht vertrat die Ansicht, dass ich als überdurchschnittlich intelligente Vierzehnjährige selbst entscheiden konnte, bei wem ich leben wollte. Da ich um jeden Preis bei Mum bleiben wollte, wurde der Sorgerechtsantrag meines Vaters schließlich abgelehnt. Als ihm klarwurde, dass er Mum nun nicht für ihre jahrelange Hingabe bestrafen konnte, indem er mich ihr wegnahm, wanderte er prompt mit Zoe nach Spanien aus. Anscheinend wollte er mich so dringend bei sich haben, dass er sich nicht einmal
Weitere Kostenlose Bücher