Mucksmäuschentot
durchgingen, bald aber jegliche Spur von gutmütigem Humor verloren. Sie waren feindselig, gemein und verletzend. Ich war wie betäubt. Nach so vielen Jahren der Freundschaft konnte ich nicht begreifen, dass mich meine besten Freundinnen nicht mehr mochten. Ich versuchte, auf Distanz zu gehen, war aber zu ihrer Unterhaltung geworden, einem neuen Zeitvertreib, mit dem sie die Monotonie der Schule durchbrechen konnten. Sie suchten in der Frühstücks- und Mittagspause nach mir, und obwohl ich mich verzweifelt versteckte, fanden sie mich immer. In einer grotesken Parodie auf die Spiele, die wir früher gespielt hatten, tanzten sie um mich herum, wobei sie sich unterhakten und eine undurchdringliche Kette bildeten. Dann riefen sie die schlimmsten Beleidigungen, bis sie mich zum Weinen brachten:
Dein Dad ist gegangen, weil er sich für dich schämt, du fetter Hirni! Shelleys Mum führt ihr die Tampons ein!
Doch es wurde ihnen schnell langweilig. Sie mussten ihre Bosheit ein wenig höher schrauben, damit das Spiel interessant blieb.
Also zerstörten sie mein persönliches Eigentum. Jeden Tag nach der Pause war etwas passiert: alle Buntstifte durchgebrochen; eine Geschichtshausarbeit, an der ich stundenlang gesessen hatte, in Fetzen gerissen; Tippex auf meine säuberlich geschnittenen Dreiecke aus Vollkornbrot gekippt; der Inhalt des Papierkorbs in meine Schultasche geschüttet; ein schnürsenkellanger Wurm in meinem Englischbuch zerquetscht; »Pizzagesicht« und »fettes Schwein« mit schwarzem Stift auf mein Holzlineal geschmiert; das violette Haar meines Glückstrolls ausgerissen und das Gesicht mit Kugelschreiber vollgekritzelt; zwei getrocknete Stücke Hundekacke in meiner Stiftedose von Hello Kitty deponiert.
Den Lehrern konnte ich es nicht sagen, weil es die Sache nur noch schlimmer gemacht hätte. Ich wollte meinen Peinigerinnen keinen Vorwand liefern, um noch schrecklichere Dinge zu tun – damals verstand ich nicht, dass grausame Menschen keinen Vorwand brauchen. Auch vertraute ich nicht darauf, dass die Schule mich beschützen konnte. Mir fiel auf, dass die Lehrer, sogar Miss Briggs, die Augen davor verschlossen, wie Teresa, Emma und Jane sich benahmen. Sie taten, als hätten sie die Schimpfwörter nicht gehört, den ausgestreckten Finger nicht gesehen – bloß keinen Ärger.
Heute ist mir klar, dass ich es Mum hätte sagen müssen, aber ich schämte mich auch. Ich schämte mich, ihr zu erzählen, dass man nur mich so behandelte, als trüge ich ein Stigma, durch das ich mich von allen anderen unterschied. Schlimmer noch, Mum kannte die Mädchen – sie hatte Abendessen für sie gemacht, sie nach Hause gefahren, sie für meine besten Freundinnen gehalten. Ich konnte es nicht ertragen, ihr zu sagen, wie sehr sie mich inzwischen hassten. Und ich fürchtete auch die unvermeidlichen Fragen –
Was hast du ihnen denn getan? Hast du sie irgendwie verärgert?
Denn tief in meinem Inneren konnte ich mich nicht des Eindrucks erwehren, dass alles meine Schuld war.
Außerdem hätte ich mich meinen Peinigerinnen stellen müssen, wenn ich es Mum oder der Schule erzählt hätte, und dazu war ich nicht in der Lage. Den Mut besaß ich einfach nicht. Den Charakter. Schließlich war ich eine Maus. Für mich war es natürlicher, nichts zu sagen, still zu leiden, mich ganz ruhig zu verhalten und hoffentlich unsichtbar zu bleiben, an den Fußleisten entlangzuhuschen und nach einem sicheren Versteck zu suchen.
Nur einen einzigen Menschen hätte ich beinahe ins Vertrauen gezogen. Meinen Dad. Bis Zoe auf der Bildfläche erschien, hatte er mich immer beschützt. Er hatte sogar versucht, mich »abzuhärten«, wie er es ausdrückte, damit ich mich selbst verteidigen konnte. Er wollte dass ich mit ihm Joggen ging, wollte mich sogar zum Judo überreden, um Mums »schlechten Einfluss« zu kompensieren. Ich schwelgte in Phantasien, in denen Dad mir zu Hilfe eilte wie ein Superheld aus dem Comic.
Allerdings wusste ich nur zu gut, dass Dad kein Superheld war. Ich erinnerte mich, wie flegelhaft und arrogant er am Ende gewesen war, wie vulgär (einmal fand ich ein
Heiße-Schlampen-
Pornoheft in seiner Aktentasche). Ich war mir sicher, dass Zoe ihn gegen mich aufgehetzt hatte
(Shelley ist doch nur ein jammerndes Mamakind)
. Warum auch nicht? Sie wollte sein Geld für sich allein. Ich bezweifelte, dass Dad irgendetwas tun würde, das Zoe missfiel. Ich bezweifelte, dass er es riskieren würde, ihren provokativen Mund und die
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