Mutterliebst (German Edition)
und sämtliche Polizeikräfte versuchen, sie aufzuspüren. Er zieht die Projektorwand herunter und dämpft das Licht. Danielle legt das Videoband ein und wendet sich an die Richterin. „Ich fürchte, diese Aufzeichnung wird alle noch bestehenden Fragen beantworten, Euer Ehren. Das Video wurde in Miss Morrisons Garderobe gefunden. Es scheint, als ob es an dem Tag, an dem Jonas starb, aus der Fountainview-Station entwendet wurde.“ Sie drückt auf den Play-Knopf. Zuerst erklingt ein surrendes Geräusch, dann flackert ein weißes Bildschirmfeld auf. Nach ein aar Sekunden beginnt die Aufnahme.
Marianne betritt das Zimmer und schleppt eine Gestalt in die Ecke außerhalb der Reichweite der Kamera. Die Gestalt bewegt sich nicht. Marianne schließt die Tür, nimmt einen Türstopper aus Gummi und rammt ihn fest unter die Tür. Sie streift ein Paar dünne Latexhandschuhe über und geht in die Hocke. Nur ein Paar weißer Krankenschwesternschuhe sind unter ihrem Kleid sichtbar. Sie bewegt sich auf das Bett zu.
Jonas liegt mit dem Gesicht zur Wand, die Knie fest an den Körper gezogen. Diese Position lässt ihn noch kindlicher wirken, schrecklich verletzlich. Sein sandfarbenes Haar ist ihm aus dem Gesicht gestrichen. Er hat die Augen geschlossen und sieht friedlich, beinahe engelsgleich aus.
Marianne setzt sich neben ihn auf das Bett. Sie stellt eine große Einkaufstüte auf dem Boden neben dem Bett ab und legt ihre Hand sanft auf seine Schulter. Man kann die Wärme seines Körpers an ihrer Handfläche beinahe spüren. Zärtlich lockert sie die Ledergurte an seinen Handgelenken und Beinen und löst sie dann ganz. Ohne die rechte Hand von seiner Schulter zu nehmen, greift sie nach der Tüte. Sie liebkost das kühle Metall des Kamms, als wäre es ein besonderes Wohlgefühl für die Fingerspitzen. Sie legt das Objekt auf dem Rand des Betts ab.
Es ist so still.
Als sie ihn an der Schulter rüttelt, flattern seine Lider, dann fokussiert er den Blick auf sie. Er bringt sich in eine sitzende Position, zieht die Knie an die Brust und schaut sie vorsichtig an. „Mach schon, Jonas, tu es jetzt“, drängt sie ihn. Sofort beginnt er, seinen Kopf gegen die Wand zu schlagen – zuerst den Hinterkopf, dann die eine Seite, Hinterkopf und die andere Seite. Er tut es in einem fortlaufenden Rhythmus, eine Art Trommeln mit geschlossenen Augen, ganz so, als würde er einem Ritual folgen. Vier Schläge mit dem Hinterkopf, vier links, viermal Hinterkopf, vier rechts. Vier, vier, vier, vier. Als die erforderliche Menge beisammen ist, beginnt er, sich ins Gesicht zu schlagen, zuerst mit der rechten Hand, dann mit der linken – rechts, links, rechts, links. Seine Hände bewegen sich in einem immer schnelleren, stakkatogleichen Rhythmus. Die Schläge werden härter und härter. Die Haut färbt sich ganz rot.
Jonas öffnet die Augen und blickt ihr fragend ins Gesicht, so als suche er nach der Bestätigung, dass es das ist, was sie will. Marianne schüttelt den Kopf. Daraufhin fängt er an, sich in die rechte Hand zu beißen – beißen, beißen, beißen, beißen. Sie beugt sich vor und hebt den Metallkamm mit den langen, scharfen Zinken hoch. Langsam tippt sie damit gegen ihre Handfläche. Tipp, tipp, tipp, tipp. Es ist wie ein Metronom, das den Takt für seine methodischen Selbstverletzungen vorgibt.
Das neue Geräusch erschreckt ihn. Er schaut auf und sieht den Kamm. Der funkelt im Licht. Seine Augen fixieren ihn wie ein Papagei, der die Sonne beobachtet, die sich in seinem Käfig spiegelt. Er beißt sich noch heftiger in die Hand. Es dauert lange, bis Blut fließt, denn es gibt so viele Narben und Verhärtungen aus vorigen Attacken.
Sie nickt und tippt weiter. Dabei beobachtet sie, wie Neugier in seine Augen tritt. „Ja, Baby, ja“, wispert sie und lächelt ihn an. „Gleich darfst du es berühren, mein Schatz, und dann wirst du dich so viel besser fühlen.“ Ihre Stimme ist ganz sanft und einschmeichelnd, ihr Blick spendet Applaus.
Die linke Hand blutet jetzt sehr stark – oben auf dem Handrücken, wo er die Vene verletzt hat. Er wandert zur rechten Hand hinüber und beginnt von Neuem, wobei er die Haut jedes Mal mit kleinen, wütenden Bissen traktiert. Sein Kopf bewegt sich langsam auf und ab, auf und ab. Sein Blick lässt das rhythmische Auf und Ab des Metallkamms in ihren Händen nicht eine Sekunde los. Jetzt schaut er ihr nicht mehr in die Augen. Es ist so, als wüsste er ganz genau, was sie will. Seine Augen sind glasig, haben
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