Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mysterium

Mysterium

Titel: Mysterium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ambrose
Vom Netzwerk:
selbst genug zu tun. Als der Arzt sah, wie Tom ihn flüchtig anschaute, sprach er eine letzte Warnung aus: »Sie werden sich körperlich erholen. Wie schon gesagt, es ist ein Wunder, dass Sie überhaupt noch leben und sich keine dauerhaften Schäden zugezogen haben, jedenfalls noch nicht. Sie haben immer noch eine Chance. Es liegt ganz bei Ihnen.«
    Wieder versuchte Tom zu sprechen, brachte aber nur ein verärgertes Grunzen hervor. Am liebsten hätte er diesen milchgesichtigen Tugendbold gefragt, ob er schon als religiöser Betreuer eines Sommercamps für Jugendliche zur Welt gekommen sei oder ob er neben der Anatomie und der Pathologie ein Seminar über diesen psychologischen Schwachsinn belegt hatte.
    »Sie sollten sich jetzt ein bisschen ausruhen«, sagte der Arzt. »Es wird eine Weile dauern, bevor Sie sprechen können, aber wir werden Sie so bald wie möglich mit Schreibblock und Stift versorgen. Gibt es noch etwas, das Sie mir jetzt noch sagen müssen? Brauchen Sie irgendwas? Blinzeln Sie einmal für Ja, zweimal für Nein.«
    Tom dachte einen Augenblick nach. Natürlich gab es etwas, das er brauchte: einen Wodka mit Eis und eine Prise Koks. Doch er wusste, dass er weder das eine noch das andere bekommen würde, und so blinzelte er zweimal und hoffte, dass man ihn in Ruhe ließ.
    Als hätte der Arzt Toms Gedanken gelesen, nickte er und sagte: »Wir sehen uns später.«
    Und Tom lag gelähmt da und spürte, wie sein Körper zu jucken und zu schmerzen begann.
    Er fragte sich, wie lange das so weitergehen konnte, bis er den Verstand verlor.

2
    Die Medikamente halfen, hauptsächlich die Schmerzmittel, die stark genug waren, um die Begleiterscheinungen des kalten Entzugs zu mildern. Vielleicht flößten die Ärzte ihm noch etwas anderes ein, um es ihm zu erleichtern. Doch er fragte nicht danach, sondern wartete nur ungeduldig darauf, dass die Schwester zweimal täglich auf ihrer Runde mit dem kleinen Pappbecher voller Pillen und Kapseln vorbeikam, die ihm das Leben an diesem Ort erträglich machten.
    Doch in dem Maße, wie seine körperlichen Verletzungen heilten, verringerten die Ärzte die Dosis. Der junge Arzt, von dem Tom inzwischen wusste, dass er Richard Pierce hieß, war sich der Wirkung bewusst.
    »Nein, auf keinen Fall, tut mir Leid«, antwortete er auf Toms Flehen, die Medikamentendosis wieder zu erhöhen. »Ich muss dafür sorgen, dass es Ihnen wieder besser geht und dass Sie wieder auf die Beine kommen, und mehr verspreche ich Ihnen auch nicht. Um Ihre anderen Probleme müssen Sie sich schon selbst kümmern. Hier im Krankenhaus findet dreimal die Woche ein Treffen der Anonymen Alkoholiker statt. Sie sollten unbedingt daran teilnehmen – am besten bei der nächsten Gelegenheit, und wenn es im Rollstuhl ist.«
    Tom murmelte eine zornige, ablehnende Antwort. Dem wohlmeinenden Krankenhauskaplan, der vorbeischaute, um mit ihm zu reden, schenkte er kaum Beachtung, und die psychologische Beraterin, die ihn fragte, ob sie irgendetwas tun könne, um ihm zu helfen, beschimpfte er wütend. Er war überzeugt, dass die Menschen, die sich um ihn kümmerten, eher versuchen würden, ihn loszuwerden, je unbeliebter er sich bei ihnen machte.
    Waren diese Leute erst verschwunden, konnte er sein Leben weiterfuhren, wie es ihm gefiel.
    Sein Leben. Was war es wert, sein Leben? Es gab nicht einen Menschen auf der Welt, der um ihn trauern würde, wäre er im Graben neben der Straße gestorben. Und es gab auch keinen Menschen, dessen Existenz in ihm den Wunsch erweckte, weiterzuleben. Er hatte keine Zukunft und glaubte nicht, dass er jemals wieder an die unbeschwerten Tage vor zehn Jahren würde anknüpfen können, als die Zukunft und die Möglichkeiten, die das Leben ihm geboten hatte, ihm schier unendlich erschienen waren. Mit seinem brillanten Hochschulabschluss in Journalismus und Politikwissenschaft und seiner Mitgliedschaft bei Phi Beta Kappa, der renommierten Akademikervereinigung, hatten ihm sämtliche Türen offen gestanden. Die Banken, die Medien, die Politik, alle lockten ihn.
    Seltsamerweise – und vielleicht war das fatal gewesen – hatte er all diese Gelegenheiten ungenutzt gelassen, um seine Studententräume zu verwirklichen und Filme zu drehen. Jetzt oder nie, hatte er sich gesagt. Sollte er scheitern, konnte er immer noch in die »normale« Welt zurück.
    Zu Anfang hatte er so unbedeutende Kompromisse schließen müssen, dass er sie kaum bemerkt hatte. Außerdem – was war falsch daran, in der Werbebranche

Weitere Kostenlose Bücher