Mythor - 044 - Piraten der Wüste
Nach einer Weile entdeckte er Aieta zwischen drei anderen jungen Frauen, die damit beschäftigt waren, irgendwelche Tiere schmackhaft zuzubereiten. Ob sie für das gesamte Lager als Mittagsmahl ausreichten, wagte Mythor zu bezweifeln, wahrscheinlich waren diese Braten nur für die Unterführer der Piraten gedacht.
Aieta erkannte ihn sofort. »Was willst du?« fragte sie.
Mythor öffnete sein Wams. »Du siehst, dass ich eine Brandverletzung auskuriere«, sagte er. »Und ich möchte sehen, wie weit sie verheilt ist. Kannst du mir einen Spiegel borgen, Tochter der Schönheit? Ich bringe ihn dir auch unversehrt zurück.«
Die Glutäugige tippte sich respektlos an die Stirn. »Hau ab«, sagte sie. »Sieh an dir hinunter, und du weißt Bescheid.«
»Das ist nicht so, als wenn ich mich richtig in einem Spiegel sehen könnte«, beharrte Mythor mit entwaffnendem Lächeln. »Du würdest mir eine große Freude bereiten.«
Achselzuckend erhob sie sich, verschwand irgendwo hinter einer Bretterwand und kam kurz darauf mit einem kostbaren Rundspiegel zurück, der gut zwei Ellen durchmaß und irgendwann einmal in der Kapitänskajüte eines gekaperten Salzseglers gehangen haben mochte. Mythor nahm ihn ihr aus der Hand. »Heißen Dank!« rief er und eilte hastig davon.
»He!« schrie Aieta ihm mit in die Hüften gestemmten Fäusten nach. »Was soll das?«
»Ich möchte mich in aller Ruhe von meinem Gesundheitszustand überzeugen«, rief Mythor über die Schulter zurück.
Augenblicke später sah Shezad ihn fassungslos an. »Wahrhaftig, er hat einen Spiegel besorgt«, flüsterte sie staunend.
Mythor hielt ihn ihr lächelnd entgegen. »Nun, sitzt die Frisur richtig?« fragte er mit spöttischem Lächeln.
Shezad ging nicht darauf ein. Sie kam näher und betrachtete sich eingehend in dem schimmernden Ding. »Wahrhaftig, nicht schlecht«, stellte sie fest. Kurz korrigierte sie den Sitz zweier Haarnadeln. »Es ist gut«, beschied sie Mythor dann herablassend, »Du kannst ihn zurückbringen.«
»Nichts anderes«, entgegnete Mythor, »hatte ich vor. Du kannst mir öfters solche Aufträge erteilen. Man lernt interessante Leute dabei kennen.«
»Verschwinde!« fauchte Shezad. Mythor klemmte sich den Spiegel unter den Arm und sputete sich. Auf halbem Weg trat ihm Ashorro entgegen.
»Mach dich bereit«, sagte er. »Jassam hat entschieden, dass wir aufbrechen, wenn die Sonne eine Handspanne weitergewandert ist. Wir werden noch heute an der Warze des Haghalon sein.«
Mythor nickte. »Meinetwegen«, sagte er gleichmütig und ging weiter. Es war also soweit, die Entscheidung würde fallen. Die Piraten brachen auf, um den Austausch vorzunehmen. Der Aufenthalt im Versteck war also zumindest für Shezad zu Ende. Ob Mythor und No-Ango ebenfalls die Freiheit wieder erblicken würden, stand auf einem anderen Pergament.
Die Warze des Haghalon! Sie war der Treffpunkt. Mythor konnte sich nicht vorstellen, was damit gemeint war. Es konnte alles mögliche bedeuten. Aber er würde es ja bald erfahren. Die Aufforderung, sich bereit zu machen, bedeutete, dass er mitkommen musste. Mehr und mehr liebäugelte er mit dem Gedanken, einen der Wüstensegler zu kapern. Wenn der erst einmal richtig in Fahrt war…
Er brachte zunächst den Spiegel zurück. Aieta schüttelte verständnislos den Kopf. »Was macht deine entsetzliche Verwundung?« fragte sie spöttisch.
»Sie hat sich entscheidend gebessert«, erklärte Mythor. »Sie wird in ein paar Tagen gänzlich geheilt sein und wohl nicht einmal eine Narbe hinterlassen.«
Sie tippte ihm mit dem Zeigefinger gegen die Brust; die verheilende Brandwunde, die die Zerstörung der Tätowierung hinterlassen hatte, jagte ein kurzes Zucken durch seinen Körper. »Das«, sagte die Piratin, »hätte ich dir auch so verraten können.«
»Das wäre nicht dasselbe gewesen, als hätte ich mir so Auge in Auge gegenübergestanden.«
»Verrückter Kerl«, murmelte Aieta und brachte ihren Spiegel in Sicherheit. »Aber ihr Männer seid ja alle verrückt.«
Mythor grinste und machte sich davon.
*
Mehr und mehr steigerte sich die Geschäftigkeit der Piraten. Sie schoben die Segler aus den Buchten und beluden sie mit Wasser und Salzfleisch. Auch Waffen wurden an Bord gebracht. Offenbar rechnete Jassam damit, dass nicht alles so glattgehen würde, wie es geplant war, und Mythor hatte ihn inzwischen als einen Mann kennengelernt, der grundsätzlich nichts dem Zufall überließ. Der Überfall auf den Palast in Horai hatte es
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