You are Mine
Kapitel 1
Es benötigt nicht viel, um die Welt zu verändern.
Ein gebrochenes Herz. Einen gestörten Geist. Einen einzigen Telefonanruf.
Ihr Bruder Bailey rief an einem Dienstagmorgen an, um sechs Minuten nach zehn, und der Schmerz in seiner Stimme war so frisch und roh, so konkret, dass ich fast wieder aufgelegt hätte. Weil ich es bereits ahnte, bereits wusste. Noch bevor er die Worte aussprach, wusste ich es.
Du hättest sie nicht mehr erkannt, Alex. Ihr armer kleiner Kopf …
Ein Anruf, und die ganze. Welt. Veränderte sich.
Madigan, meine Madigan. Meine Liebe, mit ihren grünen Augen und ihrer fahlen, irischen Haut, diesem verhassten hellen Teint, den sie von ihrer Mutter geerbt hatte. Genauso wie die dichten, rotbraunen Locken, die nie mehr von ihrem geschorenen Kopf wehen werden. Was haben sie damit gemacht, mit den so grausam abgeschnittenen Locken, die auf den Badezimmerboden gefallen waren? Wahrscheinlich weggeworfen; mit Schaufel und Besen zusammengekehrt und zum einfachen Abtransport in eine Tüte geschaufelt. Hätten sie mir eine oder zwei davon aufgehoben, wenn ich daran gedacht hätte, darum zu bitten?
Selbst jetzt kann ich diese Haare noch riechen, den frischen Apfelduft ihres Lieblingsshampoos, mit dem erdigeren Geruch ihrer Kopfhaut darunter. Wie viele dieser Haare musste ich selbst schon weggeworfen haben: nasse, verknotete Ballen, die ich fluchend aus dem Abfluss der Dusche zog, einzelne lange Strähnen, die beim Küssen in meinen Mund gerieten, teppichüberziehende Knoten, die sich jedem Versuch zu staubsaugen widersetzten.
Verdammt, Madigan , hatte ich sie einmal angeblafft, als eine ihrer kupfernen Strähnen in meinem Kaffee auftauchte. Du bist schlimmer als eine Katze mit deinem Haarausfall.
Eine Katze, hm? Ihr Lächeln war kühl und dünn. Dann sei dankbar, dass ich dir nachts nicht den Atem stehle.
Ich glaube, an diesem Tag haben wir uns gestritten. Nicht wegen der Haare, aber zweifellos wegen etwas ähnlich Dummem. Es war schwer, Madigan zu lieben, ohne sie gleichzeitig auch zu hassen. Ein unterschwelliger Hass, genährt von Ärger und Frustration, von Eifersucht und dieser speziellen Art von Schuldgefühlen, die sie unwissentlich jedem aufdrängte, der ihr zu nahe kam. Nein, nicht unwissentlich, das nie. Sie war sich der Gefühle, die sie in Leuten auslöste, nur allzu bewusst – forderte sie heraus und nährte sie sorgfältig: Liebe mich zu deinen Bedingungen; hasse mich zu meinen.
Und ich tat beides.
Und ich tue es immer noch.
Ein angemessen trostloser Tag, um sie zu beerdigen, ist das heute. Gedämpfte, graue Sturmwolken am Himmel, die letzten Herbstblätter liegen nass und schlaff in den Rinnsteinen, und ein leichter Nieselregen lässt alles verschwimmen. Ich bin zu früh, als ich vor St. Patrick aus der Tram trete, um mich der Masse aus schwarzen Regenschirmen und dunklen Mänteln zu stellen, den Mitgliedern der Toorak-Sippschaft mit ihrem tröstenden Gemurmel und den seidenen Taschentüchern, mit denen sie sich die Tränen abtupfen. Designerklamotten gepaart mit der dazu passenden Trauer: Wenige von ihnen kannten Madigan überhaupt, den wenigsten bedeutete sie etwas, aber Gott bewahre sie davor, eine Sargood-Beerdigung zu verpassen.
Zu streng? Zu böse? Aber ihre Welt ist nicht die meine und könnte es auch niemals sein. Die Ränder unserer Welten hatten sich durch Madigan nur kurz berührt, und meine Wahrnehmung war durch ihre eigene, gutsituierte Verachtung eingefärbt.
Sie tun nie etwas, Lexi. Es geht nur um Dinnerpartys und Theaterbesuche, Qualitätsweine, die ungetrunken im Keller liegen, und Autos, die nie die Garagen verlassen. Gras, auf dem man nicht laufen darf, Besitz, den man nicht anfassen darf. Sie leben nicht, sie stellen aus.
Sie hatte nicht nur die Haare von ihrer Mutter geerbt.
Katherine Sargood. Ätherische, wunderschöne Katherine Sargood, die im Sommer mit einem Sonnenschirm durch die Straßen schlenderte, ihr Gesicht ungeschminkt und die Haare offen, während der Mischlingshund der Familie ihre Fersen beschnupperte. Katherine Sargood, die ihren zwei Kindern Erdnussbuttersandwiches machte und sie auf eine öffentliche Schule schickte.
Dass sie mit einem silbernen Löffel im Mund geboren wurden, bedeutet nicht, dass sie daran ersticken müssen.
Katherine Sargood, für so viele Jahre meine zweite Mutter. Wir saßen da, Madigan und ich, und lauschten, während Katherine uns laut Gedichte von Auden oder Yeats oder einem anderen toten Dichter
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