Mythor - 051 - Vorstoß in die Schattenzone
ihnen die Luft außerhalb der Mauern geatmet, die das Grabmal des Lichtboten umschlossen.
Mythor erreichte die Treppe und stieg diese hinauf. Er erreichte den ersten Treppenabsatz, ohne dass ihm einer der Weißgekleideten begegnet wäre, und überwand auch die nächste Treppe. Über ihm sah er nun einen Freiraum, eine kleinere Halle mit einem großen Tor und eine Reihe weiterer, kleinerer Türen. Er legte auch noch die letzten Stufen zurück. Noch bevor er ihr Ende erreichte, sah er eine Reihe von Pulten, an denen Weißgekleidete saßen und Federkiele über die leeren Flächen von großen Schriftrollen führten. Gut zwei Dutzend solcher Schreiber waren in ihr Tun versunken. Keiner blickte auf, als Mythor zu den Pulten trat.
»Hier wird die Chronik von Logghard geschrieben«, sagte eine sanfte Männerstimme hinter ihm. So unaufdringlich die Worte waren, Mythor zuckte dennoch zusammen, weil das völlig unerwartet für ihn kam.
Er sah sich einem der Weißgekleideten gegenüber, der lautlos hinter ihn getreten war. Es handelte sich um einen Mann unbestimmten Alters, dessen schlohweißer Vollbart ihn gewiss älter erscheinen ließ, dessen glatte, blasse Gesichtshaut ihn andererseits wiederum jugendlich machte. Der Mann hatte dunkle Augen, die in krassem Gegensatz zu seiner übrigen Erscheinung standen, aber so dunkel die Augen auch waren, sie hatten einen sanften und geradezu gütigen Blick.
»Erschrick nicht, ich heiße Jerego«, sprach er mit seiner sanften Stimme und lächelte Mythor an. »Ich bin zu deinem Empfang gekommen und nicht, um dich aus dem Grabmal zuweisen.«
»Du hast mich erwartet?« erkundigte sich Mythor, weil ihm nichts anderes zu sagen einfiel.
»Jeder, der den Vorhang aus Licht durchdringen kann, ist bei uns willkommen«, sagte Jerego. »Wir sind die Hüter dieses Ortes, und wir bekommen nur selten Besuch. Manchmal stößt einer zu uns und wird selbst zu einem Hüter. Es kommen aber auch welche, die die Shallad-Gräber besuchen wollen, um des Lichtboten in seinen vielen vergangenen Erscheinungen zu gedenken.«
»Dann ist es wahr, dass ein Shallad die Fleischwerdung des Lichtboten ist?« fragte Mythor.
»Shallad Machrad, Shallad Rhiad, Shallad Fhedad und Shallad Hirjedo, um nur einige zu nennen, haben auf eine Weise zum Guten der Lichtwelt gewirkt, dass schwer zu glauben ist, sie könnten nicht vom Lichtboten beseelt gewesen sein«, erklärte Jerego. »Unsere Chronisten haben alle ihre Taten aufgezeichnet, sie sind mit Logghard engstens verbunden. Und viele dieser Taten lassen auf das Wirken des Lichtboten schließen. Manche Zeichen waren sehr deutlich, andere wiederum nur schwer zu verstehen und manchmal auch gar nicht zu entschlüsseln, aber vieles weist darauf hin, dass der Geist des Lichtboten in ihnen gelebt hat.«
»Ich verstehe, man darf das nicht wörtlich nehmen«, sagte Mythor. »Es ist wie mit allen Legenden, auch der über den Sohn des Kometen. Sie sind nicht in des Wortes Sinn wahr, sondern haben vor allem sinnbildliche Bedeutung. Trägt auch Shallad Hadamur den Geist des Lichtboten in sich?«
»Der Lichtbote ist wieder in einem Sterblichen unterwegs, doch weilt dieser unerkannt auf der Welt«, antwortete Jerego.
Mythor blickte den Weißgekleideten forschend an, doch konnte er in seinem offenen Gesicht nicht lesen. Er ersparte sich weitere Fragen zu diesem Thema, denn ihm war klar, dass Jerego ihm keine deutliche Antwort geben würde. Mit seiner Aussage hatte er ihm jedenfalls verraten, dass Hadamur für ihn nicht die Fleischwerdung des Lichtboten war. Aber spielte er damit darauf an, dass Luxon der wahre Shallad war?
»Und wie steht es mit dem Sohn des Kometen?« erkundigte sich Mythor.
»Fühlst du dich dazu berufen?« fragte Jerego zurück. »In diesem Fall werde ich dir nichts in den Weg legen, dein Glück zu versuchen.«
»So einfach ist das?« wunderte sich Mythor. »Dann könnte jeder kommen…«
»Nicht jeder, aber jeder, der Zutritt zu diesem Ort bekommt.«
»Um wie viel schwerer war es dagegen an den anderen sechs Fixpunkten des Lichtboten!« sagte Mythor seufzend.
»Es wird dir auch hier nicht leichtgemacht«, erklärte Jerego. »Es fällt dir hier nichts in den Schoß, sondern du wirst kämpfen müssen, wenn auch auf andere Weise, als du es gewohnt bist.«
Mythor nickte gedankenverloren. Wie anders dieser siebte Fixpunkt doch war. Hier war nichts entartet, die Dunkelmächte hatten keinen Einfluss auf diesen Ort. Und das war es wohl, was den Unterschied zur
Weitere Kostenlose Bücher