Teuflische Versprechen
Freitag, 21. Dezember 2001
Zlatko und Goran hatten ihre Schicht beendet und befanden sich auf dem Weg nach Hause zu ihrer kleinen, spartanisch eingerichteten Zweizimmerwohnung in Seckbach. Sie waren bei einem Busunternehmen in Höchst angestellt, holten morgens behinderte Kinder und Jugendliche ab, um sie zur Schule oder in die Behindertenwerkstätten zu fahren, unternahmen aber auch Ausflugstouren mit Senioren, Schulklassen und Firmen für Betriebsfeiern. Alles in allem ein Beruf, der für die beiden Männer aus Kroatien, die schon seit 1992 in Frankfurt lebten, wie ein Segen war. Sie hatten für dieses Jahr den letzten Arbeitstag hinter sich und würden morgen früh gemeinsam in die Heimat fahren, worauf sie sich schon seit Wochen freuten und auch vorbereitet hatten.
Als sie an diesem kalten Winterabend mit ihrem vierzehn Jahre alten Opel Kadett an einer Ampel standen und ein eisiger Wind durch die Straßen fegte, sagte Goran, den Blick nach rechts aus dem Fenster gerichtet: »Ich steige übrigens aus. Ich habe keine Lust mehr, da mitzumachen.«
»Wovon sprichst du?« Zlatko sah seinen Freund fragend von der Seite an.
»Du weißt genau, wovon ich spreche. Ich werde eine Familie gründen, und das kann ich nicht tun, so lange ich diesen Job mache. Ich habe schon mit dem Boss darüber gesprochen.«
»Und was hat er gesagt?«, fragte Zlatko misstrauisch.
»Nichts weiter. Er hat nur gemeint, dass es meine Entscheidungist, und mir meinen Lohn gegeben. Und er hat mir viel Glück für die Zukunft gewünscht.«
»Was hat er?«, stieß Zlatko ungläubig hervor. »Das glaube ich dir nicht. So leicht lässt der dich doch nicht gehen. Der lässt niemanden einfach so gehen.«
Goran holte aus der Innentasche seiner Lederjacke einen Umschlag heraus und hielt ihn Zlatko hin. »Hier, zähl nach, zweitausendfünfhundert Mark. Wie vereinbart.«
»Warum hast du mir vorher nichts davon gesagt?«
»Weil du nur versucht hättest mich davon abzubringen. Es tut mir leid, aber ich kann das nicht mehr tun.«
»Ich verstehe dich nicht. Wir machen das jetzt schon, seit wir in Frankfurt sind. Wie stellst du dir deine Zukunft vor? Du wirst nicht einmal mehr die Hälfte verdienen.«
»Das ist mir egal. Ich werde auf jeden Fall nicht mehr so was machen. Wenn es sein muss, bleibe ich auch in Kroatien. Ich habe schon mit meinem Vetter gesprochen, er hat eventuell eine Arbeit für mich.«
»Du bist verrückt, das alles aufzugeben. Ich dachte immer, wir wären Freunde.«
»Wir sind Freunde, daran wird sich nie etwas ändern. Aber Sanya kann ich das nicht antun, ich könnte ihr nicht mehr in die Augen schauen. Ich kann es jetzt schon kaum noch. Ich will heiraten und Kinder haben. Vier oder fünf. Sanya will es auch.«
»Ich kann noch immer nicht glauben, dass der Boss dich einfach so hat gehen lassen. Wir müssen es immer zu zweit machen.«
»Er hat gesagt, ich brauche mir darüber keine Gedanken zu machen, er hätte schon einen Ersatz für mich. Hätte mich auch gewundert, wenn der keinen finden würde.«
»Es ist deine Entscheidung. Wenn du das Geld nichtbrauchst, ich jedenfalls brauche es und werde weitermachen. Und solltest du in Kroatien bleiben, werden wir uns nur noch selten sehen, das weißt du.«
»Ich habe doch nur gesagt, vielleicht bleibe ich dort. Aber nicht gleich, sondern in einem halben oder einem Jahr, wenn überhaupt. Ich habe genug gespart, um für eine Weile über die Runden zu kommen.«
»Du bist verrückt. Aber gut, du musst wissen, was du tust.«
»Ich habe es mir lange überlegt.«
»Und das erzählst du mir einen Tag, bevor wir in die Heimat fahren«, sagte Zlatko beleidigt. »Du bist ein Idiot, wenn du auf das ganze Geld verzichtest!«
»Dann bin ich eben ein Idiot. Aber Sanya ist meine große Liebe, das musst du doch verstehen.«
»Es ist dein Leben.«
Sie kamen zu Hause an und gingen in ihre Wohnung im sechsten Stock des Hochhauses, wo man anonym lebte, weil kaum einer den andern kannte. Die Koffer hatten sie bereits am Abend zuvor gepackt. Sie holten sich jeder eine Flasche Bier aus dem Kasten, der neben der Spüle stand, und machten den Fernseher an. Während sie die erste Flasche leerten, unterhielten sie sich über den bevorstehenden Urlaub, den sie während der nächsten drei Wochen in dem vom Bürgerkrieg fast zerstörten Osijek verbringen würden, wo sie gemeinsam aufgewachsen und zur Schule gegangen waren. Mit Ausbruch des Kriegs waren sie nach Deutschland gekommen, doch wirklich heimisch
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