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N. P.

N. P.

Titel: N. P. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Banana Yoshimoto
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aber nicht, sondern blickte träumend in die Richtung, wo meine Schwester saß und eine Zeitschrift las. Mit der Regelmäßigkeit eines tropfenden Wasserhahns blätterte sie Seite für Seite um. Durch das Rauschen des Regens hindurch hörte man den Fernseher des Nachbarhauses. Von der Feuchtigkeit beschlugen die Fenster, und im Zimmer war es schwül geworden. Ich dachte:
    Bald kommt Mutter nach Hause, wie immer mit etwas müdem Gesicht und in jeder Hand eine Einkaufstüte. Der Rest der Miso-Suppe vom Morgen, irgendein Fertiggericht, Mutters Spezialsalat, Obst. Sie geschäftig inmitten des Duftes von kochendem Reis. Wir beim Reisausteilen, sobald alles fertig ist. Nach dem Essen Englischunterricht, Fernsehen, Baden, Gute-Nacht-Sagen und Schlafengehen. Beim Einnicken noch die beiden kurzen Schlurfer, mit denen Mutter ihre Schlappen abstreift, bevor sie nebenan zu Bett geht.
    Heißes Glück. Wir waren nur zu dritt, besaßen aber ein Gefühl der Geborgenheit wie in einer Großfamilie.
    In dem Augenblick fragte meine Schwester: »Schläfst du, Kazami?«
    »’m-’m«, verneinte ich. Eigentlich war gar nichts dabei, man mußte es nur versuchen. Unheimlich war bloß, daß sich meine eigene Stimme so weit weg anhörte. Wie hatte ich diese Tonlage vermißt!
    »Kazami, hast du was gesagt?« fragte meine Schwester überrascht.
    »Scheint so«, sagte ich vorsichtig.
    »Konntest du die ganze Zeit reden?«
    »’M-’m, ich hatte wirklich keine Stimme.«
    »Was für ein Gefühl war das? Schlimm?«
    »Nee, gar nicht. Oft hab ich sogar gedacht, endlich was kapiert zu haben.«
    Ich weiß noch, daß wir absichtlich weiterredeten, um uns meiner Stimme zu vergewissern.
    »Als ich wieder sprechen konnte, war mir, als wäre die Weiße Nacht über unserem Haus zu Ende gegangen. Das heißt, im Rückblick erscheint mir das jetzt so«, sagte ich.
    »So was Ähnliches hab ich auch mal erlebt. Als ich die Schule geschwänzt hab: Tat so, als ob ich zur Schule ging, aber stattdessen hab ich rumgejobbt, gab mich älter aus als ich war«, sagte Otohiko. »Als alles rauskam und es Zoff gab, hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, mit meinen Großeltern wirklich gut auszukommen.«
    »Verstehe«, sagte ich. – »Irgendwie ist mir komisch zumute, als säße ich hier mit einer Romanfigur zusammen.«
    »Meinst du mich?«
    »Ja, eine Romanfigur, der ich plötzlich leibhaftig begegne.« Ich lachte. Etwas zögernd sagte Otohiko: »Sh ō ji hat sich umgebracht, nicht?«
    »Ja. Als er dabei war, die Erzählung zu übersetzen.«
    »Wart ihr zusammen?«
    »Ja.«
    »Hmm.«
    »Aber ihr habt nichts mit seinem Selbstmord zu tun … ich meine, weil ihr ihm die achtundneunzigste Erzählung überlassen habt.«
    »Hat er das gesagt, daß er sie von uns hat?« fragte er verwundert.
    »Ja. Er sagte, von Takases Hinterbliebenen. Er war ganz begeistert, meinte, sie würde mit den anderen in Japan veröffentlicht.«
    »Verstehe … tut mir leid«, sagte er. Er schien etwas zu verbergen, aber selbst wenn ich es herausbekäme – die Toten werden nicht wieder lebendig, deshalb bohrte ich nicht weiter nach.
    »Jetzt versucht niemand mehr, sie zu veröffentlichen.«
    Ich lachte. »Als läge ein Fluch darauf.«
    »Aber wirklich. Von den drei Leuten, die mit der japanischen Ausgabe zu tun hatten, lebt keiner mehr. Das weißt du doch, oder?«
    »Ja. Der Universitätsprofessor, der sich zuerst daran versuchte, die Studentin, die die Rohübersetzung anfertigte, und dann Sh ō ji. Alle Selbstmord. Warum?«
    »Wahrscheinlich ist es das Ringen mit der japanischen Sprache. Meine Schwester beschäftigt sich immer noch damit. Ich persönlich halte es ja für besser, dieses Buch ganz zu vergessen. Wie die Toten. Das ist doch alles kein Zufall! Alle Leute, die fasziniert sind davon, die es übersetzen wollen, werden von dem geheimen Wunsch besessen, Selbstmord zu begehen. Es ist das Buch, das dazu verführt!«
    »Was du sagst, macht einem angst!« sagte ich.
    »Magst du das Buch?« fragte er.
    »Ja, ich finde es auf jeden Fall faszinierend.«
    Auch ich gehörte zu denen, die es immer wieder gelesen hatten. Und tief in meiner Brust wallte dabei jedesmal diese dicke, heiße Flüssigkeit auf. Ein ganzes Universum nahm Einzug in meinen Körper – und übernahm dort Regie. Nach Sh ō jis Tod hatte ich sogar eine Zeitlang versucht, die achtundneunzigste Erzählung zu übersetzen. Es ging mir damals sowieso nicht besonders gut, aber schreckliche Vorstellungen befielen mich dabei. Beim Umsetzen

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